Metéora-Klöster im Himmel

Auf der Fahrt nach Metéora zweifel ich ein bisschen an unserem Ziel. „Weltberühmte Klöster“, „spektakuläre Kulisse“, „eines der schönsten Panoramen Europas“ und „atemberaubende Bergwelt“ sind nur einige Zitate, die ich in Reiseführern und Internet lese. Das schreit förmlich nach Massentourismus. Viele Straßenkilometer später biegen wir um eine Kurve der Nationalstraße nach Kalambáka und erblicken die Felsen von Metéora in der Ferne. Ein Traum in Grau! Selbst wenn es hier überlaufen ist, möchte ich mir zumindest einen Tag lang alles anschauen.

Durch Kalambáka hindurch geht es nach Kastraki. Dort empfiehlt der aktuellste deutschsprachige Individualreiseführer für gesamt Griechenland, den wir finden konnten, den Vráchos Campingplatz. Dennoch stammt der fast tausendseitige Wälzer vom Michael Müller Verlag aus dem Jahr 2010 und ist somit sechs Jahre alt (eventuell erscheint aber demnächst eine aktuelle deutsche Version des Lonely Planet für Griechenland). Am Eingang von Vráchos Camping wird uns der Rabatt dennoch bestätigt; sogar in gutem Deutsch. 15 € pro Nacht für eine dreiköpfige Familie mit Bulli sind wirklich schwer in Ordnung. Es darf sogar, ganz untypisch für Griechenland, Toilettenpapier herunter gespült werden. Normalerweise kommt es in einen Eimer. Freie W-LAN Hotspots finden sich drei am Eingang, die Gaskocher sind kostenfrei, die Stellplatzwahl ist frei, es gibt viele Schattenplätze, das Leitungswasser ist trinkbar, am Abreisetag kann man bleiben so lang man mag, die Duschen sind heiß, alles ist sauber und es gibt einen Pool, der zu allem Überfluss auch noch eine tolle Sicht auf die nahen Felsen bietet. Wir sind so zufrieden, dass auch 10 € für zwei Waschladungen an dieser Stimmung nichts ändern können. Lediglich vom Konzept der Stoffwindel nehmen wir bei diesen Waschpreisen vorübergehend Abstand.

Am folgenden Morgen weckt uns Arttu gewohnt zeitig gegen 06:30 Uhr. Ich klappe schnell die Liegefläche um, damit der Kindersitz nach hinten kann und wir möglichst schnell nach dem Frühstück am ersten Kloster sind. Einige Zeit vor neun Uhr platziert Susi Bulli Balu samt Insassen am Straßenrand zum obersten zugänglichen Kloster. Die Schlange der parkenden Pkw ist dennoch bereits 200 Meter lang. Ich freue mich gar nicht, dass jedes Kloster, das man besuchen kann, seinen eigenen Parkplatz hat. Von da aus ist man nach etwa zehn Minuten Fußweg am jeweiligen Ziel. Ein anstrengender Aufstieg würde das „Gipfelerlebnis“ dagegen verzehnfachen. Ich will allerdings auch nicht schweißgebadet von Reisebussen aus ganz Europa beim Anmarsch eingerußt werden. Da außerdem wenig Schwitzen für Arttus geplagte Haut besser ist, füge ich mich in mein gefühlt viel zu komfortables Schicksal als Autotourist.
Bei der Anfahrt über die kurvige Straße fährt man direkt unter den Steilhängen von himmelshohen Felsen entlang. An allen möglichen Positionen auf, am oder im Fels sind Mauern, Leitern, Ruinen, Holzplattformen und intakte Klöster zu sehen. An Kloster Rousanoú fährt man mit nur wenigen Metern Abstand in der Draufsicht, aber umso mehr Metern Höhenunterschied vorbei. Die Kulturgeschichte dieser Region springt einem wahrhaftig ins Auge. Bereits im neunten Jahrhundert haben sich die ersten Einsiedler von den Felswänden in vorhandene Höhlen abgeseilt. Drei Jahrhunderte später begann dann der erste Klosterbau. Ein Meteoritis genannter Mönch war in diesem Zusammenhang Namensgeber für die gesamte Region Metéora. Zunächst waren die Anlagen so exponiert gebaut, dass man nur in Körben an Seilen zu ihnen gelangte. Erst in den letzten hundert Jahren wurden begehbare Aufstiege geschaffen.

Ein Tag im Kloster

Das größte und sehenswerteste Kloster ist Metamórphosis. Nach Abstieg und 264 Treppenstufen Aufstieg in der Steilwand bekommt man sehr original aussehend ausgestattete Räume zu sehen. Darunter waren eine mittelalterliche Küche, prunkvolle Gebetsräume (hier durfte nicht gefilmt/fotografiert werden), Innenhöfe, versteckte Schädel, Vorratsräume, Werkstätten, ein Speiseraum und ein Museum für historische Gewänder, alte Schriften und diverse weitere Utensilien. Die beeindruckende Aussicht in die Felsenlandschaft mit weiteren Klöstern auf den Spitzen der Felstürme gibt es obendrauf. Den Aufenthalt in Metamórphosis verschläft Mr. Baby komplett. Im benachbarten Kloster Varlaám ist er dann trotz Stillpause jedoch hellwach. Ein Problem ist das zwar nicht, da Varlaám gerade Baustelle ist und bloß von außen etwas hermacht, aber ein Rundgang mit schlafendem Knirps ist trotzdem immer angenehmer. Zum Abschluss des Besichtigungstages nimmt sich Susi mit Kind heraus und ich schaue mir allein das unterste Kloster auf der Serpentinenstraße an. Anapafsas ist zwar beschaulich klein und kostet trotzdem wie alle anderen Anlagen drei Euro Eintritt pro Erwachsenem, aber hat dafür wunderbare Wandmalereien aus byzantinischer Zeit vorzuweisen. Der Mönch Theofane Strelitsa schuf mit ihnen eine sehr dunkle, andächtige Stimmung im Gebetsraum. Zum Glück wurden die Malereien ab 1960 vor dem Verfall gerettet. Zuvor war das Kloster, wie viele andere auch, lange Jahre verlassen gewesen. Da ich, mit Ausnahme des Kassierers, allein im Gemäuer bin, kann ich die Atmosphäre in Ruhe in mich aufsaugen. Vom zweithöchsten Punkt des Klosters neben dem Glockentürmchen nutze ich die gute Rundumsicht für allerlei Fotos. Schade, dass ich nicht abends bei besserem Fotolicht hier sein kann. Trotz Menschenmassen, die sich aus zig Reisebussen durch die Klöster wälzen, lassen diese Eindrücke sogar uns, als abgeschiedenheitsverwöhnte Urlauber eine absolute Weiterempfehlung über die Lippen kommen. Bei aller Begeisterung komme ich trotzdem ins Grübeln. Von zwei Dutzend Klöstern sind laut Reiseführer nur noch vier bewohnt. Ein Grund für die Flucht der Ruhe suchenden Mönche in Richtung Mönchsrepublik Agion Óros (Berg Áthos) ist wohl der Tourismus.

Urlaubsschreck Neurodermitis

Ganz und gar unglücklich stimmt uns derweil Arttus Gesichtshaut. Sie wird zusehends trockner, röter und zerfurchter. Seitdem er nachts viel auf dem Bauch schläft, wälzt er sein Gesicht direkt auf dem Bettlacken. Das verschlimmert die Sache noch zusätzlich. Die Haut des restlichen Körpers wird ebenfalls schlechter, aber bei weitem nicht so Besorgnis erregend. Erst einmal verlängern wir daher den Campingplatzaufenthalt von einer auf drei Nächte. So bekommt Baby die nötige Ruhe und die Eltern die Zeit zum Schreiben, Material sortieren, Fotos schießen, Umgebung erkunden, Auto aufräumen und vor allem Kind pflegen. Bis auf die Besserung der jungen Haut klappt das auch alles. Wenigstens ist sie nicht schlimmer geworden. Über einen Arztbesuch beratschlagen wir kurz, aber verwerfen ihn wieder. Die Diagnose ist uns bereits von mehreren Arztbesuchen in Deutschland bekannt. Alle nötigen Medikamente sind ebenfalls im Reisegepäck, inklusive Kortisonsalbe.
Als die vierte Nacht anbricht, haben wir uns im ersten Gang unseres Boliden 600 Höhenmeter an den Hängen eines Bergmassivs empor geschraubt. Im Tal hätten wir nicht daran geglaubt, dass der unscheinbare Abzweig zwischen zwei heruntergekommenen Bauernhöfen wirklich zum Gipfel führt. Aber leicht angespannte Nerven und ein Momentanverbrauch von fast 40 Litern Diesel, auf 100 Kilometer gerechnet, bringen uns dann doch zu der Aussicht auf Metéora, die wir beim Kartenstudium am GPS erhofften. Eine Schotterfläche abseits der Straße wird zum Nachtlager. In dieser Höhe genehmigen wir uns, absolut mückenfrei, bei endlich angenehmen 20°C einen Topf voll Spagetti mit Knoblauch und Tomate/Rucola Pesto zum Abendessen. In der Dämmerung wird hier ein guter Fotospot mit atemberaubender Aussicht sein. Babys Körper ist von alledem unbeeindruckt. Die Haut ist aller Pflege zum Trotz erneut miserabler geworden. Viele offene, nässende Stellen schimmern schon durch die weiße Schicht Zinksalbe. So schlimm war es erst einmal in seinem jungen Leben, 2,5 Wochen nach der ersten Sechsfach-plus Schluckimpfung. Da das fast nicht mehr zu verantworten ist, beschließen wir, sollte binnen zwei Tagen keine Besserung stattfinden, den Heimweg anzutreten. Mit dieser unschönen Entscheidung im Nacken, beginnt für uns der Wettlauf nach Delphi, um zumindest eine Kultstätte von Weltrang auf der Griechenlandtour gesehen zu haben…

Tipps zur Klosterbesichtigung: Schultern sind zu bedecken, Frauen müssen lange Röcke tragen (an den Kassen gibt es Leihröcke) & Männer lange Hosen, Baby kann mitgenommen werden (ohne Trage nicht realisierbar), Filmen ist in allen Klöstern verboten (Fotografieren ist außerhalb der Kirchen/Gebetsräume erlaubt), ab der Mittagszeit war der Andrang am geringsten (Mai), Wandern auf eigene Faust abseits der Klöster ist sehr, sehr lohnenswert

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4 Gedanken zu „Metéora-Klöster im Himmel“

    1. Danke. Die Schädel kann man entdecken, wenn man im Kloster Metamórphosis im Eingangsbereich eine kleine Öffnung in der Wand findet. Ich hab sie glatt übersehen und sie fiel nur Susi auf. Soweit wir es erfahren haben sind die Schädel von Mönchen, da man ihre Leichname nach einiger Zeit aus religiösen Gründen exhumierte, um herauszufinden, ob sie verwest sind.

  1. Ich schließe mich an. Die Bilder sind sehr gut!
    Wiedereinmal ein toller Reisebericht. Ein sehr schöner Blog.
    Bin gespannt wie es weiter geht. Bis bald

    Scholle

    1. Als Abschluss des Peloponnes haben wir drei großartige Festungen aus verschiedenen Epochen Griechenlands besucht, aber auch ganz schön dabei geschwitzt. Am nächsten Beitrag „Monumentalgeschichte im Glutofen“ bin ich bereits dran und beeile mich ihn fertig zu bekommen.
      Bis die Tage und vielen Dank für die Lorbeeren 🙂

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