Frisches Quellwasser, selbstgepflückte norwegische Heidelbeeren, ein Bulli VW T4 zum unabhängigen Reisen und ein spannendes Buch von Stieg Larsson sind perfekte Voraussetzungen für einen Urlaubstag; eigentlich. Mir ist das gerade alles egal und ich bin zutiefst frustriert. Zwar ist das leichte Fieber meiner schwangeren Frau Susi mittlerweile weg, aber eigentlich sollten wir jetzt gerade in unserem Kajak auf dem nahen Fjord sein. Stattdessen verbringen wir Tag um Tag an verschiedenen Parkflächen der Straße 48 und warten auf Susis Genesung.
Idylle Folgefonna Nationalpark
Begonnen hatte der Urlaub hingegen genau nach Plan: Es ist Mitte August und wir erreichen nach knapp 1500 Kilometern im Bulli und auf der Fähre gegen Abend den Startpunkt zur geplanten, mehrtägigen Gletscherwanderung im Folgefonna Nationalpark. Zum Parken auf einer Schotterfläche geben uns die benachbart wohnenden Norweger ihr Einverständnis. Wir schlafen eine letzte Nacht im T4 und stiefeln los. Da Susi im sechsten Monat schwanger ist, entlaste ich sie beim Gepäck und trage mit Zelt, Schlafsäcken, Seil, Steigeisen, Eispickeln, Kleidung und Fotoapparat 25 Kilogramm. Susi schultert das Essen plus Helm plus Kissen mit insgesamt fünf Kilogramm. Sie kommt damit überraschend gut zurecht. Trotz kleiner Pausen sind wir schnell am Bergstødvatnet. Der See liegt zirka 400 Höhenmeter über unserem Startpunkt am Auto. Einen Wanderweg gibt es nicht, nur die Richtung, die GPS und Kompass vorgeben. Zuerst folgen wir einer, sich den Berg hinauf schlängelnden Schotterpiste. Sie endet abrupt. Der anschließende Weg führt an einer einsamen Hütte vorbei, bis er schließlich nur noch ein von Schafen ausgetretener Pfad wird, auf dem schon kein menschlicher Abdruck mehr zu sehen ist.
Susi horcht permanent auf die Signale ihres Körpers. Wir müssen jede Überanstrengung für sie ausschließen. Sie hat zwar unsere Unternehmung mit ihrer Frauenärztin besprochen, die ihr OK gab, aber es bleibt Neuland, auf dem wir lieber zu vorsichtig sind, als mit Unerfahrenheit ein Risiko einzugehen. Immerhin kann die Höhe kein Problem werden, denn die für schwangere Mitteleuropäerinnen kritische Grenze von 2000 Metern über Normal Null erreichen die Berge hier sowieso nicht.
Ein Zwacken im Bauch weiß Susi nicht zu deuten, weshalb wir zunächst eine lange Pause einlegen. Es ist Zeit für einen Snack und trockene Shirts. Im Wasser des tiefblauen Bergsees kann man Forellen bei der Futtersuche beobachten. Die Sonne scheint tief ins klare Wasser. Es geht hier gerade kein Wind, sodass man auch die Flossenschläge der Fische deutlich an der glatten Wasseroberfläche beobachten kann. Schade, ich habe weder Angel noch die in Norwegens Süßwasser notwendige Fiskekort (Angelerlaubnis) dabei. Gerade bin ich mir nicht einmal sicher, ob Angeln hier am südlichen Rande des Nationalparks überhaupt gestattet wäre. So dürfen die flinken Salmoniden weiter vergnügt in einer kaum berührten Natur schwimmen, die ich mir auch für den Angelsport in meiner Heimat Sachsen wünschen würde.
Mit meiner wieder erstarkten Begleiterin geht es nun ohne jeden Weg steil bergan. Der letzte Baum liegt bereits weit außer Sichtweite. Hier und da sind ein paar Schafe zu sehen. Der Wind frischt auf, es wird zunehmend kühler und der Hang hat fast den Grad der Neigung erreicht, den ich Susi nicht zumuten will. Ausrutschen hätte zwar einen tiefen Sturz zur Folge, aber ich weiß aus vorhergehenden Bergtouren wie trittsicher sie in Momenten mit voller Konzentration ist. Zudem ist es bis jetzt „bloß“ schwieriges Wandergelände und erfordert noch keine Kletterfertigkeiten. Mit Steinschlag ist durch den festen, teilweise bewachsenen Untergrund nicht zu rechnen. Schneefelder, Rinnen, Felswände oder Geröll befinden sich oberhalb von uns ebenfalls nicht. Wir haben die Route gezielt nach ihrer Umgebung ausgesucht. Ich bin davon überzeugt, dass wir auf die meisten Eventualitäten der Berge vorbereitet sind. Hitze, Kälte, Nebel, Sturm, Verletzungen oder Erkrankungen sind ebenso in der Tourenplanung berücksichtigt wie Reservenahrungsmittel über die Tage des Trips hinaus. Nichts trübt meine Zuversicht. Etwas beunruhigen mich die vermehrten Pausen, die Susi einfordert, aber so gut wie wir bis jetzt vorangekommen sind, sind die nicht schlimm. Wir entschließen uns bis zum nächsten See aufzusteigen, um ausreichend Platz für unser Zelt in der Nähe von Trinkwasser zu haben. Die ersten Schneefelder versperren nun die direkte Route und müssen umgangen oder gequert werden. Einige Pausen später geben die Felsen den Blick auf den weißen Skjeggesvatnet frei. Wieso eigentlich weiß? Sollte das Wasser zu dieser Zeit nicht eisfrei sein? Egal! Zu aller erst kümmern wir uns um einen Lagerplatz damit der Rest meiner Familie, der bis jetzt noch auf einem Paar Beine unterwegs ist, zu etwas Erholung kommt. Im Babybauch traten, vor allem bei größeren Schritten oder Anstiegen leichte krampfartige Schmerzen auf. Ein deutlichen Zeichen für: „Bis hierhin und nicht weiter!“
Scheitern gehört dazu!?
Das Zelt steht, Susi klemmt sich ihr Waschhandtuch unter den Arm und ich widme mich der Entscheidungsfindung für die restliche Wanderroute. Dabei muss ich zunächst einmal schwitzen, um bis auf 1260 Meter über dem Meeresspiegel zu gelangen. Die Aussicht reicht hier bis zum Ziel, dem verschneiten Folgefonna Gletscher. Etwas über die Hälfte des Weges und der größte Teil des Höhenunterschiedes unserer Wanderstrecke sind nun geschafft. Das realisiere ich zwar, aber bin beim Abstieg zum Zelt dennoch todtraurig. Aller Vorbereitung zum Trotz endet die Wanderung hier. Nicht nur der See neben dem Zelt, sondern auch die ganze Landschaft bis zum Gletscher liegt noch fast vollständig unter Eis und Schnee begraben. Ausgerüstet dafür bin diesmal nur ich, da ich einen kleinen Soloabstecher auf den Gletscher machen wollte. Doch selbst wenn Susi die Sachen dafür auch dabei hätte, könnte ich ein Weitersteigen meiner Partnerin unter diesen Umständen nicht verantworten. Für uns ist es in diesem Jahr schon der zweite Gletscher, den wir auf einer Tour nicht erreichen. Na klar, widrige Umstände und Scheitern gehören zu solchen Unternehmungen dazu, doch der jeweilige Moment des Misserfolges betrübt mich trotzdem. Ich könnte froh sein, dass Susi in ihren Umständen überhaupt so super bis zu diesem Punkt durchgehalten hat. Eigentlich hatten wir uns im Vorhinein darauf eingestimmt, dass Umkehren schon viel eher auf der Route nötig werden könnte. Damit zufrieden zu sein, bedarf es allerdings erst der guten Zusprache meiner Frau am Zelt.
Wir genießen etwas die uns umgebende wilde Schönheit. Ein Schmelzwasserbach stürzt von weit oben hinab. Die Felslandschaft, durch die er sich bis zum See hindurch windet, ist über und über mit verschiedenfarbigen Flechten bewachsen. Dann übermannt uns beim beruhigenden Lauschen auf die Geräusche der Wassers die Erschöpfung. Die Nacht unterbreche ich nur kurz, um in der Dunkelheit die restlichen Abspannungen am Zelt fest zu zurren. Beim Aufbau war ich zu faul dafür. Ohne wäre der Wind am Zelt jetzt einfach zu laut, da die Zeltwände sonst unnötig aufeinanderschlagen.
Vor dem Abstieg zum geplanten Zwischenlager an den tieferen See, beginnt der sonnige Tag mit Knacker, Brot und ein paar Fotos zum Abschied.
Unsere Umgebung wird bereits wieder deutlich grüner, wärmer und weniger felsig, als Susi zunehmend an Kraft verliert. Offensichtlich bahnt sich bei ihr eine Erkältung an. Die Vorboten im Hals sind bereits da. Sie möchte vorerst keine weitere Nacht draußen verbringen, weshalb wir uns vornehmen die gesamte Strecke in einem Stück abzusteigen. So richtige Sorgen keimen in mir auf, als sie sich in den Pausen nur noch liegend erholen kann. Den Rest Gepäck nehme ich ihr ab. Auf dem letzten Stück muntern uns ein paar Schafe auf, indem sie sich einige getrocknete Apfelscheiben erbetteln.
Am Fahrzeug angekommen, offenbart das Thermometer der Reiseapotheke bei meiner Begleiterin leichtes Fieber. In der folgenden mehrtägigen Erkältungszwangspause lassen Lesen, Rätseln, Walderdbeeren sammeln, Bergsteigen und Fotografieren dann doch die eine oder andere Stunde Resignation vergessen. Schließlich sind einige Puffertage für Unvorhergesehenes eingeplant. Susi entspannt indes. Zumindest unsere Parkplätze sind sehr idyllisch gelegen. Umgeben von bemoosten, urwüchsigen Bäumen, ist der Blick hinab auf die verwinkelten Fjorde inklusive.
Die Stimmung ist ab und an trotzdem recht abgekühlt. Zudem halten wir möglichst viel Abstand zueinander, damit ich mich nicht anstecke.
Dann kommt DER Tag, an dem die Antwort auf meine allmorgendliche Frage nach dem Befinden mit „Gut!“ quittiert wird.
Das Zecklein an der Waage
In der Mittagssonne des gleichen Tages sitzen wir bereits im aufgebauten, vollgepackten Kajak Mitte Fjord in der Nähe des Ortes Skånevik. Eine Landzunge reicht hier weit in die See hinein. Keine Straße bringt die Zivilisation zur Natur. Wir haben nur uns, kiloweise Heidelbeeren, Sonne und Dutzende Sichtungen von Schweinswalen. Ohne Wind ist es so ruhig, dass man deren Schulen beim Ausblasen an der Wasseroberfläche gut hören kann. Wenn sie sich dem Ufer nähern, flüchten gleichzeitig die Makrelenschwärme in die Bucht unterhalb unseres Zeltes. Dort vereinen sie sich im Kreis schwimmend zu einem runden Gebilde, das die Wasseroberfläche förmlich zum Kochen bringt. Endlich kommen wir dem so vertrauten, aber viel zu selten erlebten Gefühl der Ruhe und Verbundenheit mit unserer Umgebung näher; eine Reduktion auf die wesentlichen Dinge des Lebens. Weder Handy noch Uhrzeit, Rechnungen oder Internet spielen eine Rolle. Als einziger Wermutstropfen ziehen in regelmäßigen Abständen die penetranteren unter den Anglern in ihren lärmenden Nussschalen an der Küste entlang. Gehetzt auf der Suche nach Fisch vertreiben sie jedes Mal für einen kurzen Augenblick die Fjordbewohner.
Manchmal wünsche ich mir die nahe Zukunft zu kennen. So auch dieses Mal. Wenn ich den Sturm oder Regen der kommenden Tage geahnt hätte, wäre ich dem Genuss von Sonne und strahlender Natur am Vortag bedeutend länger nachgekommen. Stattdessen waren im Hinterkopf bereits teilweise Gedanken zur Jagd nach tollen Fotos und Erlebnissen aufgekeimt. Leider sind die Spielarten des Outdoorsports nur Hobby statt Beruf. So werden unsere Reisen zu Beginn viel zu oft von viel zu viel Vorfreude und Erwartung meinerseits geprägt. Man kommt ja auch viel zu selten im Jahr dazu, als dass man sich nicht freuen könnte. Daheim beim Karten studieren, Tidenhub ausdrucken, Klimadiagramme wälzen, GPS vorbereiten, Ausrüstung zusammenstellen und Sonnenuntergangszeiten herausschreiben keimt dann jedes Mal eine Erwartungshaltung in mir, von der man sich erst einmal entledigen muss, um den Kopf frei zu bekommen. Gar nicht so einfach.
Auf jeden Fall warten wir Tags darauf die erste, viel zu stürmische Tagesphase ab, um am Nachmittag zur Fjordquerung anzusetzen. Auf der anderen Seite erwartet uns ein Bach, der sich vor Ort als grünes Rinnsal entpuppt. Trinkwasserqualität hat er zwar nicht, aber zum Kochen langt es. 15 Liter Wasser können wir mit diversen Behältnissen transportieren. Das reicht zwei bis drei Tage. Etwas knapp bemessen ist das schon, wie wir feststellen müssen. Im dünner besiedelten Nordnorwegen, mit Bergen die mehr Schnee auf ihren Gipfeln in Meeresnähe tragen, war die Trinkwassersuche kein Thema. Ohne diese beiden Dinge müssen wir hier dafür etwas mehr Zeit aufwenden. Rationierung ist dennoch bei weitem nicht nötig.
Langsam geht mir auf, dass auch ich einen kleinen Infekt ausbrüte. Dass weder Knoblauch noch Zitroneneinnahme dagegen geholfen hat, macht mich etwas wütend. Wieso muss das immer im Urlaub sein?
Zwei Kreuzottern und ein vorzüglicher Sonnenuntergang bringen mich zeitweilig auf andere Gedanken. Zumindest ist Susi wieder nahezu gesund.
Aus gebotenem Anlass fällt die nächste Zeit ruhiger aus. Wir sammeln Himbeeren, lauschen einem Hörbuch, angeln erfolglos oder backen ein paar Brötchen am Lagerfeuer.
Erst als es auch bei mir mit der Gesundheit wieder merklich bergauf geht, lassen wir erneut einige Kilometer Wasser unterm Kajakkiel durchströmen. Von der Sonne gab es in den letzten Tagen nur wenig zu sehen. Regen, begleitet von starken Windböen, hält da treuer zu uns. Wir nehmen es für den Moment so hin. Ich empfinde die Situation sogar ein Stück weit angenehmer, als manch Momente aus meinem Arbeitsalltag. Viel gestresster bin ich hingegen von der Tatsache, dass sich noch kein einziger Fisch von mir überlisten lies. Nicht auszudenken wie sich das anfühlt, wenn die beiden nagelneuen Kühl- bzw. Tiefkühlboxen ohne Fisch zurück nach Deutschland fahren. Außerdem wäre es mir peinlich zu sagen: „Übrigens, ich war in Norwegen und habe keinen Fisch gefangen.“ Einen Dorsch von zehn Kilo Körpergewicht wie beim letzten Mal in der Region Troms habe ich quasi schon aufgegeben. Hauptsache es stellt sich überhaupt ein Angelerfolg ein.
Zunächst muss diese Aufgabe aber warten. Mal wieder sind 15 Liter Wasser ausgetrunken. Neues muss her und ich marschiere mit Kanistern und Flaschen ein kleines Stück in die Berge. Weiter unten sind einige Gehöfte am Fluss, die mich skeptisch machen. Keine Ahnung wie üblich oder unüblich es hier ist, das Abwasser irgendwo einzuleiten. Oberhalb der Häuser ist es auf jeden Fall ausgezeichnet.
Für die folgende Nacht verschlägt es uns auf eine abgelegene, quietschgrüne Wiese. Umliegende, gletschergeschliffene Felsen schützen sie vor starken Windböen. Etwas vorgelagert steht ein quirliger, kleiner, runder Leuchtturm. Er ist solarbetrieben und schickt unablässig sein Leuchtfeuer in Richtung Salzwasser. Wie jeden Tag entlade ich die sechs Packsäcke aus dem Rumpf, trage sie zum Lagerplatz und wuchte die sperrigen 40 Kilogramm Kajak genügend weit von der gierigen See weg. Auch schwanger ist mir Susi eine große Hilfe. Sie erledigt derweil alles, was nichts mit Anstrengung zutun hat. Abwaschen, Essen bereiten oder Lageraufbau müssen schließlich auch erledigt werden. Dennoch freu ich mich bereits, wenn in Zukunft unsere Rollenverteilung weniger klassisch und dafür wieder ausgewogener ausfallen wird.
An den Regen haben wir uns fast schon gewöhnt. Nur über die beiden Zecken im Zelt ist Susi kein bisschen erfreut. Dann drei – vier – fünf – zehn – fünfzehn…
Im gleichen Atemzug kommt eine SMS aus Deutschland: „die nächsten vier Tage gibt es definitiv Regen in der Region Bergen“. Ich lese die Nachricht laut vor, wir sehen uns gegenseitig an und nahezu gleichzeitig erklären wir die Tour für beendet. Entbehrungen wie Zecken, Nässe oder Kälte machen uns zwar wenig aus, aber keiner von uns beiden möchte sie hinnehmen, ohne ein Ziel zu haben. Entbehrung ist kein Selbstzweck. Schöne Fotos und Naturgenuss fallen als Ziel für diesen Teil des Urlaubes sprichwörtlich ins Wasser. Während wir sowohl uns, als auch die gesamte Ausrüstung im Zelt mehrmals nach Zecken absuchen, um Blutsauger rauszuwerfen, entschließen wir uns die restlichen Tage in der Stadt Bergen zu verbringen.
Kultur- und Exhauptstadt mit Charme
Der Tag der Rückfahrt im Kajak begleitet uns gebührend mit Dauerregen. Entsprechend nass wird auch das beladene Auto von innen. Dank Platzregen erlebe ich, ebenso aufgeweicht wie das Kfz, den mit 612 Metern achthöchsten Wasserfall der Erde namens Langfossen. Dennoch freuen wir uns auf die kommenden Tage, an denen wir Zeit genug haben, um in Norwegens Kultur einzutauchen.
Durch die Industriestadt Odda reisen wir nach Norden. Ziel wird Bergen. Doch vorher machen wir einen Schlenker zur größten Hochebene Europas, der Hardangervidda. Die hügelige Landschaft ist uns in weiß wohl bekannt. Dennoch erkennen wir sie in den vielen Farben des Sommers kaum wieder. Auch von Seen und Flüssen war auf der Vidda im März dieses Jahres nichts zu erahnen. Eine sonnige Regenpause an der Straße Rv7 ist ideal, um die Aluminiumteile des Kajaks im See Ørteren vom Salzwasser zu befreien. Danach kehren wir in Richtung Bergen um. Auf dem Weg liegt der weltbekannte 183 Meter hohe Vøringsfossen Wasserfall. Er fällt in ein steiles, schroffes und dennoch sehr grünes Tal, in dem auf halber Höhe eine Wolke hängt. Wir könnten uns in diesen Ort verlieben, wenn da nicht ein Dutzend Reisebusse mit einer Menschenmasse sondergleichen stehen würden. Das etwas östlicher an der Rv7 liegende Hardangervidda Natursenter darf sich ebenfalls über einen Besuch von uns freuen. Die Freude bleibt jedoch einseitig, denn die lebendige Natur der Vidda in der Nachbarschaft ist bei weitem schöner.
Tags darauf erreichen wir Bergen. Die ehemalige Hauptstadt Norwegens liegt im Regen. Wir schauen uns etwas um und organisieren uns nördlich der Stadt, für umgerechnet 15 Euro pro Nacht, einen Campingplatz für die kommenden Tage. Ihr wisst schon, so richtig mit Dusche, Toilette und so 🙂
Herrlich so ein kleines Stück Luxus!
Für Nahverkehr und Kulturangebote sind in den größeren Städten Norwegens Kombitickets üblich. Es gibt sie für gewöhnlich an der Touristeninformation, meist nicht in den Museen selbst, obwohl sie auch für diese gelten. Hier heißt das Kombiticket „Bergen Card“. Für 260 Norwegische Kronen pro Nase (rund 28 Euro) können wir 48 Stunden allen Nahverkehr nutzen, die meisten Museen besuchen und bekommen noch ein paar Vergünstigungen bei anderen Kulturangeboten und Restaurants.
Als besonders liebevoll gemacht empfanden wir das Alt-Bergen Museum „Gamle Bergen“. Viele Gebäude aus dem Bergen des 18. bis 20. Jahrhunderts, hat man hier realistisch zu einer begehbaren Museumstadt zusammengestellt. Verschiedene Darsteller in Wohnungen, Gassen, Geschäften und Werkstätten lassen die Stadt der Vergangenheit zum Leben erwecken und binden den Gast in die Geschehnisse von einst mit ein.
Am Ende unserer Tage in Bergen besuchen wir noch das Hanseatische Museum im ehemals deutschen Händlerstadtteil Bryggen, direkt am Hafen. Die Ausstellungsräume sind in einem der ältesten noch erhaltenen Häuser Bergens aus der späten Hansezeit untergebracht. In urigen Blockhausräumen ist man hier bewusst der Atmosphäre von damals treu geblieben; sehr spannend wie allein die Ausstrahlung der Räume einem ein Gefühl für die damalige Zeit verschafft. Leider sind diese Ausstellungsflächen nicht in der Bergen Card inbegriffen.
Für Susi war insbesondere auch das Bryggen Museum sehr spannend, da es sich mit den archäologischen und schriftlichen Überlieferungen der Stadt beschäftigt. Ansonsten haben wir neben anderen noch das Festungs-, Lepra-, Schul-, Fischerei- und Maritime Museum angesehen sowie Haus drei des Kunstmuseums Kode. Keines davon war jedoch für uns so sehenswert wie die drei zuerst Beschriebenen.
Ohne jedes Eintrittsgeld vermittelt ein kleiner Stadtspaziergang am Hafen den schönsten ersten Eindruck von Bergen. Der Fischmarkt ist zwar klein, aber ein Blick in die alten Gassen der nahe gelegenen spitzgiebeligen Häuserfront Bryggens lohnt sehr.
Mein „Fischproblem“ existiert zu diesem Zeitpunkt leider immer noch. Verzweifelt hatte ich per SMS bei einem nahen Guide für Angeltouren angefragt. Als Budget für den Trip hatte ich 150 Euro erhofft und mir 220 Euro als Obergrenze gesetzt. Vier Stunden mit Angelboot, Ausrüstung und Guide sollen 6500 Norwegische Kronen kosten (rund 690 Euro!!). Nein danke…
An der Touristeninformation erhalte ich allerdings einen Tipp für eine gute Angelstelle. Tatsächlich fange ich dort an den folgenden beiden Abenden einige Makrelen. Ich bedanke mich für den guten Hinweis mit einem mitgebrachten Fläschchen Allgäuer Kräuterschnaps, der im Land der hohen Alkoholsteuer auch gern angenommen wird. Vom Erfolg angespornt nutze ich die beiden letzten Tage vor der Rückfahrt gen Deutschland zum Angeln. Obwohl Susi Angeln nicht übers Herz bringt gesteht sie mir das zu. In der Zeit vertreiben ihr Buch, Hörbuch und Spiegelreflexkamera die Zeit.
Die Angelköder werfe ich unermüdlich in den Gezeitenstrom zwischen den Inseln westlich von Bergen ins Wasser. Mit durchschlagendem Erfolg: 30 Makrelen, drei Pollacks, ein Hornhecht und ein Schellfisch. Ausgenommen ergeben diese sieben Kilogramm Fisch, den ich sofort nach dem Ausbluten in die Passivkühlbox auf Eis lege. Abends kommen die Fänge dann zum Frosten direkt in die Tiefkühlbox hinterm Fahrersitz. Spät am letzten Tag schmerzt mir der untere Rücken vom gebückten Ausnehmen, Entschuppen und Waschen der Fische. Mir ist kalt und die Schürfwunden, die ich mir gestern bei einem Sturz am glitschigen Fels eingefangen habe, versprühen ebenfalls kein Wonnegefühl. Dennoch sonne ich mich in meinem eigenen kleinen Erfolg. Für norwegische Verhältnisse habe ich in Größe bzw. Menge der Fische sicher kein Husarenstück abgeliefert, aber bin mit mir selbst dennoch zufrieden als ich im Bulli nahe dem offenen Meer einschlafe. Früh morgens gibt es dann noch ein paar kleine Bonusfische, bis mir irgendein Meeresmonster die Montage abreist. Ich möchte nicht gierig werden und höre auf. Vor der Abfahrt sammeln wir noch allerlei Müll ein, den sogenannte Angler offensichtlich hier zurückgelassen haben. Es ist traurig, dass sich selbst bei diesem eigentlich sehr naturnahen Sport so viele Umweltferkel finden. Von angeschwemmten menschlichem Unrat möchte ich an dieser Stelle gar nicht erst anfangen.
Wir haben noch lange nicht genug
Ab jetzt warten nur noch eine verschüttete Straße inklusive Umweg, über die Ufer getretene Flüsse, Hauptstadt-Rush-Hour, das Wikingerschiffmuseum in Oslo und Susis Mageninhalt auf der Fähre Langesund-Hirtshals auf uns.
Wenn ich nun aufzählen müsste, was auf dieser Reise trotz penibler Planung und großer Flexibilität alles in die Hose gegangen ist, würde ich den ein oder anderen ganz sicher von solch einer Tour abschrecken. Leider haben wir diesmal unsere innere Ruhe nicht in dem Maße gefunden, wie wir das von vorhergehenden Reisen in abgeschiedene Natur gewohnt sind. Ein Stück weit ist das auch dem geschuldet, dass die bereiste Natur diesmal nicht so weit weg von jeglicher Zivilisation war wie sonst. Dennoch sind Susi und ich einig darüber, dass wir viel Unvergessliches erlebt haben und froh sein können, dass mit Babybauch ein Urlaub in dieser Art und Weise überhaupt möglich war. Obwohl wir zu gleichen Teilen hinterm Lenkrad Platz genommen haben, konnte meiner Frau nicht einmal die Fahrtstrecke von zirka 4000 Kilometern etwas anhaben.
Immerhin tröstet es uns, dass dies, laut einiger Norweger, der schlechteste Sommer seit 15 Jahren ist. Da haben wir auf jeden Fall das Beste daraus gemacht. Mit weiterhin ungebrochener Begeisterung, wird uns die skandinavische Halbinsel im nächsten Jahr wieder willkommen heißen, diesmal mit quäkender Unterstützung.
Zum Schluss habe ich mir beim Resümieren über das Erlebte schließlich gedacht:
„Es war der schönste gescheiterte Urlaub meines Lebens!“