Moschus und Kupfer

In unserer Woche der fehlenden Ereignisse haben wir am Ende versucht, die wöchentlich nötige Waschmaschine für die Stoffwindeln einzusparen, indem wir die Windeln auf dem offenen Feuer im großen Windeltopf steril kochten. Leider bekam ich das Wasser nur auf ungenügende 82,5°C. Vor Qualm stinkend und von einer 6-°C-Nacht durchgefroren, ersehnen wir den Campingplatz von Røros mehr als alles andere. Schade, dass der Preistipp des Reiseführers eine Servicewüste ist.

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Die Fahrtstrecke der Etappe

Bergstadt Røros

Trotz etwas älterer Ausstattung des Platzes und fehlendem WLAN bekommt die nette alte Dame an der Rezeption von uns mit 220 Norwegischen Kronen/NOK (rund 24 €) den gleichen Betrag für eine Nacht wie der Betreiber des schicken Vier-Sterne-Platzes in Lom. Das Zentrum ist erlaufbar und der Wald beginnt direkt am Stellplatz. Da drücken wir mal ein Auge zu, dass uns ein acht Monate altes Kind als dritte Person bei der Übernachtung angerechnet wird. Vielleicht war es auch nur ein dürftig herübergebrachter Witz, denn die Verständigung läuft mit den wenigen Englischkenntnissen der Frau etwas hinkend. Susis schwedisch hilft dagegen gut weiter. Egal, jetzt machen wir erstmal wieder Menschen aus uns, indem wir Wäsche waschen und duschen. Dass die Waschmaschinen extra kosten, ist mittlerweile Normalität in Norwegen. Zudem ist es fair. Weniger fair ist dagegen, wenn ein Münzen schluckender Zeitzähler neben der Waschmaschine hängt, der mit Zeitablauf die Stromzufuhr zur Miele Waschmaschine kappt und deren Tür dann trotz fertigen Waschprogramms nicht aufgeht. In dem Punkt ist Madame vom Campingplatz zumindest nachgiebig. Die Münze zum Maschine öffnen gibt es gratis.

Weniger verständnisvoll gibt sich das ältere Semester beim Thema Dusche. Schlimm genug, dass wir für 15 NOK (rund 1,65 €) Duschmünzen extra kaufen müssen, da stell ich auch noch fest, dass es fürs Geld nur vier Minuten warmes Wasser gibt. Auf unseren Hinweis, dass die Duschzeit trotz abgestelltem Wasser beim Einseifen weiterläuft, erhalten wir den umwerfenden Ratschlag, uns vorab mit kaltem Wasser einzuseifen, bevor der Automat die Münze zu futtern bekommt. Mit dem Wort kalt meine ich übrigens so richtig kalt, in etwa die Temperatur eines Gletscherflusses, in dem wir uns beim Bergsteigen waschen.

Zunächst fehlte es in der entstehenden Industrieregion jedoch an Wissen um den Bergbau. Die deswegen hinzugeholten Bergleute und Ingenieure aus Deutschland (z.B. Harz & Erzgebirge) hinterließen im Wortschatz deutliche Spuren. Die Worte „Ertzscheider“ (im Deutschen Erzscheider), „Berg-Gesella“ (Berggesellen) und „Stiger“ (Steiger) sind nur einige der Beispiele dafür.
Lange Zeit nutzten die Bergarbeiter die europaweit verbreitetet Methode des Feuersetzens unter Tage. Die großen Holzfeuer zum Lockern des Gesteins verbrauchten zusätzlich zum Schmelzwerk enorme Mengen Holz. Die Landschaft im 44-Kilometer-Radius war dementsprechend kahl geschlagen. Zum Glück sehen wir davon heutzutage kaum noch etwas. Die Wälder sind zurückgekommen.
Wie es hingegen um die Schwefelverseuchung der Landschaft steht, wissen wir nicht genau. Beim sogenannten Kaltrösten lag das erzhaltige Gestein über Wochen im schwelenden Feuer, um den enthaltenen Schwefel auszubrennen. Dieser legte sich dann promt über weite Teile der umliegenden Gegend. Da das umweltschädliche Verfahren allerdings seit 1926 keine Anwendung mehr fand, betrachten wir das ganze Problem mal als getilgte Altlast. Wäre doch auch schade, wenn die enormen Pilzmengen im Wald einfach ungenutzt stehen bleiben müssten. Ohne Übertreibung kann ich hier vom Pilzesammeln sprechen, nicht etwa vom Pilzesuchen wie in unseren heimischen Wäldern. Eine halbe Stunde bin ich mit Arttu unterwegs. Dabei tragen wir in etwa die Menge eines prall gefüllten fünf Liter Eimers an Rotkappen zusammen. Regen, lauwarmes Wetter und der viele Sand im Erdreich sind der perfekte Nährboden für die Waldfrucht. Zwar sind ausnahmslos alle Rotkappen madig, aber bei kiloweisen Pilzen im Wald, bleibt nach dem Putzen trotzdem noch genug für zwei hungrige Mäuler übrig. Als wir der Stadtführerin begeistert vom Reichtum des Waldes erzählen, fragt die nur ungläubig nach, ob wir es ernst meinen. Im Weiteren der Reise stellen wir fest, dass kaum ein Norweger Pilze sammeln geht. Weshalb bleibt uns ein Rätsel. Lediglich in der Region Trøndelag erzählt uns später ein Norweger vom Hardangerfjord, seien Pilze wohl nicht zu empfehlen, weil der Boden noch vom Fallout der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl belastet ist. Schade, dass das die Stadtführerin im Gespräch nicht erwähnt hat, dass wir uns gerade in einer belasteten Region befinden. Gesundheitliche Folgen haben wir von einer Mahlzeit zwar nicht zu befürchten, aber vorsichtshalber wäre diese Pilzmahlzeit dennoch ausgefallen. Wahnsinnig lecker war es dennoch. Als Beilage hat Susi frisches Pfannenbrot mit Knoblauchstückchen und Leinsamen gezaubert.

Gut gestärkt lassen wir den unschönen Campingplatz nun endlich hinter uns. Zu wirklich viel kommen wir am Abreisetag vom Zeltplatz wie immer nicht. Am Tagesende steht das Auto allerdings endlich wieder perfekt. Neben der Piste Richtung Storwartz Bergbaugebiet können wir die grüne, weite Landschaft genießen. Um die restlichen Stoffwindeln vom Waschen zu trocknen, wate ich durch den morastigen Boden zu zwei krüppeligen Birken, die die Wäscheleine halten sollen. Der starke Wind lässt den Stoff fast waagerecht im Wind zappeln und ganz sicher schnell trocknen. Auf dem Rückweg zum Auto schaue ich, mit nicht einmal 50 Meter Abstand, auf einmal einem vierbeinigen Fjellbewohner direkt in die Augen. Hinter dem Rentier kommen eine Handvoll weitere seiner Artgenossen über den kleinen Hügel gelaufen und bleiben stehen, sobald sie mich sehen. So spät haben sie mich erst erkannt, weil ich zufällig gegen den Wind gelaufen bin. Dennoch scheint trotz der Überraschung keines der Tiere Angst zu haben. Sie betrachten mich viele Sekunden lang, bis sie gemächlich weitertraben. Einige Reaktionszeit brauche auch ich, bis ich alles realisiere. Was für ein Glück! Zurück am Auto krame ich als erstes nach dem Fotoapparat und schicke Susi zum Erhaschen eines Blickes nachdraußen. Leider ist die kleine Herde da schon kaum noch in der Landschaft auszumachen. Auf jeden Fall haben die Norweger ein besseres Auge für die Paarhufer. Trotz der großen Entfernung zu den Tieren kommen einzelne Geländewagen die Straße entlang und halten am Rand. Die Rentiere setzen direkt im Anschluss zur Flucht an. Keine Ahnung, ob das Jäger sind und die Tiere das wissen. Zumindest sind keine Schüsse zu hören bis die Geweihträger in der Entfernung gänzlich mit dem Grünbraun der Vegetation verschmelzen.

Wir schlafen trotz Wind und Baby entspannt. Den sonnigen Vormittag haben wir zur Erkundung des Mienengebietes. Die Führung in der Olavsgruva (Olavsgrube) beginnt 12:00 Uhr.
Die Kulisse könnte aus einem Westernfilm stammen. Verrostete Gleise und vergraute Holzmasten stehen verlassen um alte, große Holzgebäude in der baumlosen rauen Landschaft. Der Wind pfeift durch zersplitterte Fenster, während ein schiefer Fensterladen nur noch durch einen Nagel an der Holzwand hält. Es ist eine einzigartige Szenerie, in der lediglich ein von Böen umher gepusteter, rollender Busch fehlt. Ich vermute, dass dieses Flair bei der anstehenden Renovierung ein Stück weit verloren gehen wird.

12:00 Uhr fahren (trotz laufen nennen es die Bergleute so) wir in die Olavsgruva ein. Mit welchen Entbehrungen die Männer im mittelalterlichen Bergwerk schufteten, ist kaum vorstellbar. Mit zwei primitiven eisernen Werkzeugen, Eisen und Schlägel genannt, trieben sie im düsteren Lichtschein die Stollen Zentimeter für Zentimeter in den Felsen, um anschließend gebrochenes Gestein hinauszutragen. Wie die Atemluft mit den ständigen untertägigen Feuern war, will ich mir gar nicht vorstellen. Zumindest hat es wenig Unfälle gegeben, bekommen wir erklärt. Das Gestein ist einfach zu hart, als dass es einsturzgefährdet wäre. Dennoch war die Lebenserwartung aufgrund der Strapazen nicht hoch. Hinzu kommt, dass die Entbehrungen nicht nur körperlich waren. Die Kumpel lebten sechs Tage die Woche ohne ihre Familien auf dem Mienenfeld. Nur sonntags gingen sie heim nach Røros.
Kein Stück leichter ist deswegen das Leben der Frauen gewesen. Sie schmissen im Alleingang Felder und Viehwirtschaft. Beides war als Zubrot zum Bergmannsgehalt notwendig. Wie es für die Frauen dann noch möglich war, sich um den Nachwuchs zu kümmern, ist mir schleierhaft. Wirtschaftlich ging es den Bergarbeiterfamilien dennoch besser, als beispielsweise den Handwerkern von Røros, weshalb Menschen von weit her in die Kupferstadt strömten, um ein Auskommen zu finden.

Eine völlig andere Welt eröffnet sich unserer Besuchergruppe im neuen Teil der Grube. Moderne Maschinen, Sprengstoff und nur noch eine Handvoll Arbeiter schufen zig große Felshallen. Wäre die Kupferkompanie nicht unrentabel geworden, würde hier bis heute Kupfererz gefördert. Erzhaltiges Gestein wäre weiter ausreichend vorhanden. So endete die Bergwerkstradition 1977 nach 333 jähriger Geschichte. Um sich die Option einer Wiederaufnahme des Betriebes bei steigendem Kupferpreis offen zu halten, setzte man das Abpumpen von Tausenden Litern Grubenwasser fort. Andernfalls wäre dieser Besucherspaziergang gar nicht möglich.
Nach der Olavsgruva rundet die Schmelzhütte inmitten des Ortes unseren Rørosbesuch gut ab. Die Ausstellung zeigt sowohl die Dimensionen sowie Funktionsweisen des Kupferbergbaus als auch dessen Bedeutung für Mensch und Natur. Besonders gut haben mir die vielen Funktionsmodelle der mittelalterlichen, alten, hölzernen Bergbautechnik gefallen.

Stadtrundgang, Grubenfeld und Schmelzhütte haben uns einen tiefen, umfassenden Einblick in die Industriegeschichte der Region gegeben. Obwohl abgeholzte Wälder und schwefelverseuchter Boden im Umfeld von Schwerindustrie überhaupt nicht dem mitteleuropäischen Norwegenbild entsprechen, ist dies dennoch untrennbar mit der Geschichte des Landes verbunden. Wahrscheinlich war es für mich gerade deswegen so spannend. Davon abgesehen ist von der Zerstörung der Region durch den Menschen nur noch wenig zu sehen. Die Einzigartigkeit der Gegend wird durch die Aufnahme in die Welterbeliste der UNESCO noch zusätzlich unterstrichen. Wenn ihr also über die Klischees von Fjorden, Lachsen und unberührter Natur hinaus an Norwegen interessiert seid, dann kann ich Røros definitiv empfehlen. Zwei Tage Zeit zur Besichtigung solltet ihr allerdings einplanen, um in Ruhe ein umfassendes Bild zu bekommen.

Babyupdate

Wo war eigentlich der kleine Knopf die ganze Zeit? Natürlich dabei! Nur fällt er mit seinem gerade sehr positiven Wesen gar nicht auf. Er ist immer mit auf Achse, genießt die frische Luft, die Abwechslung und ist meist rundum zufrieden. Zu Beginn dieser Reiseetappe zeigt die Fischwaage schon neun Kilogramm für den fidelen Säugling im neunten Lebensmonat. Obwohl Zahn vier, als auch fünf bereits durch den Kiefer kommen, bleibt Arttu entspannt. Zahnen muss also nicht immer nervenaufreibend für die Eltern sein. Zunächst verwöhnt uns Mr. Baby sogar mit vereinzelten Schlafsessions von 20:00 Uhr bis 09:00 Uhr. Selbstverständlich sind da Unterbrechungen dabei, aber solche Nächte sind dennoch Zucker fürs Gemüt. Schade, dass er eine Woche später die Nächte wieder recht spärlich zum Schlafen nutzt.

Aber auch mental geht es flink voran. Arttu kopiert nun unser „Kuck-kuck“ Spiel. Mussten sich sonst die Eltern als Animateure abmühen, so ergreift er jetzt selbst Initiative. Meist gräbt er dafür den Kopf, nach Seh-ich-dich-nicht,-siehst-du-mich-auch-nicht-Manier ins Kissen, um Sekunden später wieder verschmitzt hochzuschnellen. Wenn nun Mama oder Papa „Kuck-kuck“ rufen beginnt das Spiel von Neuem. Der Hit ist, während seines Versteckens zu fragen: „Wo bist du hin? Wo ist der Arttu?“ Dann freut er sich schon wie ein Schnitzel, noch während er im Kissen „versteckt“ wartet.

Gegenstände zu verstecken klappt genauso gut. Konnte man einige Wochen zuvor noch Dinge, die nicht für Kinderhände bestimmt waren, in Sicherheit bringen, indem eine Decke darauf kam, klappt das nun nicht mehr. Das Verstecken macht die Dinge nun nicht mehr unsichtbar für ihn, sondern noch viel interessanter. Ein langweiliger abgespielter Holzbaustein löst bei Mr. Baby auf einmal unverhältnismäßige Freude aus, wenn Susi ihn unter ein Kopfkissen legt. Jetzt kann der Krabbelspürhund loslegen. Wir haben dann so lange nichts mehr zutun, bis die halbe Liegefläche im Bulli nach dem verschwundenen Baustein umgegraben ist. Was für ein Spektakel! Teilweise schießt die quirlige, vierbeinige Rakete quer über die Liegefläche, weil sie sich exakt gemerkt hat, an welcher Stelle der Stein abhandenkam. Dann fliegt das fiese Kissen hinfort und die Babyhand streckt das ergatterte Spielzeug, wie eine blinkende Trophäe zum Himmel. „Dah!“, lautet sein Siegesruf.

Ebenso gut steht es um Babys Gesundheit. Die letzten roten Punkte vom Dreitagefieber sind lange weg und die Neurodermitis ist, bis auf eine Stelle neben dem Mund, auch in der Hölle verschwunden. Lediglich dieser eine Fleck besorgt uns, da er sich trotz der Pflege weiter ausbreitet. Arttu scheint es jedoch nicht zu stören, denn seit vier Wochen kratzt er sich nur noch, wenn er wütend ist. Erst im Dovrefjell-Nationalpark taucht eine zweite trockene Stelle auf der anderen Seite neben dem Mund auf.

Niedlich zu erwähnen finde ich noch den kürzlich erlernten Pinzettengriff. Natürlich, der Kleine würde alles veranstalten, um mehr oder schneller essen zu können. Wieso also nicht die Fähigkeit erlernen mit Daumen und Zeigefinger einzelne Reiskörner in den Mund zu stopfen. Wer von euch begeistert die Comedystaffel mit den liebenswerten Nerds schaut, erinnert sich vielleicht an den opponierbaren Daumen des Homo Habilis. Arttu hat zu dieser Fähigkeit das erste von vier Teilstücken geschafft.

Damit wir nicht nur von angenehmen Seiten des Kindes verwöhnt werden, gibt es natürlich auch Anstrengendes zu berichten, nur diesmal nicht viel. Den Kleinen wickeln, an-oder auszuziehen ist komischerweise zu einer Tortur geworden. Er dreht und windet sich dabei, schreit oder spannt die kleinen Muskeln an, um im Anschluss an so eine dreiminütige Tortur wieder die beste Laune zu haben. Wieso gerade der Sachenwechsel so schwierig ist, bleibt uns ein Rätsel. Zumindest die Antipathie gegen das Hinlegen ist uns nicht unbekannt. Sie flammt immer mal wieder auf.

Moschusochsenfahndung

Wenn man nach drei Stunden Wanderung mit Baby auf dem Kreuz auf die Idee kommt, sich von seiner Frau mit dem Auto an der kreuzenden Landstraße abholen zu lassen, hatte man eine tolle Idee. Wer nun jedoch nach 20 Minuten des Wartens, wie ich, an sich herunterschaut und den Autoschlüssel am Gürtel baumeln sieht, ist ein Trottel. Folglich habe ich mir auch den Rückweg redlich verdient. Da der auf der direkten Route nicht ganz so lang ausfällt und Susi von mir lange Wanderungen gewöhnt ist, hat sie sich auch noch keine Sorgen gemacht. Der Zweck meiner, beziehungsweise Arttus Abwesenheit ist zwar nicht ganz erreicht, aber Susi konnte sich zumindest gut erholen. Schlaf nachholen war leider nicht wirklich drin. In der Zwischenzeit war ich mit Mr. Baby südöstlich der Straße E6 im Dovrefjell-Sundalsfjella-Nationalpark unterwegs, um die Besuchermagnete der Gegend zu finden. Dass wir in der falschen Ecke des Parks nach den urzeitlichen Moschusochsen gesucht haben, erfahre ich erst am Ende der Wanderung von einer vergilbten Hinweistafel. Schön ist der Ausflug abseits aller Wanderwege dennoch.
So lange kein Wasser von oben fällt, sind wir in der Gebirgsregion von angenehmer Stille umgeben, nur unterbrochen vom Schmatzen meiner Stiefel auf dem morastigen Boden. Dass kein permanent blauer Himmel ist, freut mich sogar, denn das Schauspiel aus wolkenumspielten Gipfeln und ziehendem Nebel ist mein persönliches Bilderbuchwetter, vor allem wenn die Sonne für kurze Zeit erscheint, um der Szenerie einen kräftigeren warmen Kontrast zu geben.

Da der Ausflug, neben Erholung für alle, eine Idee gebracht hat, wo die Moschusochsensuche weitergeht, wollen wir am folgenden Tag nordwestlich vom Militärörtchen Hjerkinn zusammen wandern gehen.

Hier sind wir richtig! Weit oberhalb der E6 endet die Seitenstraße auf einem großen Parkplatz mit mehreren Erklärungstafeln zur Nationalparktierwelt, einem tadellosen öffentlichen WC sowie stählernen lebensgroßen Moschusochsenschablonen. Gegen Vormittag füllt sich der Parkplatz mit norwegischen Pkw. Dutzende Kleingruppen von hochpreisig ausgerüsteten Wanderern stapfen einen breiten Wanderweg in Richtung einer nahen Anhöhe empor. Leben Moschusochsen auf Bergen?! Und fühlen die sich von so vielen Menschen nicht gestört? Oder sind wir hier doch falsch, weil Moschusochsen weit umherziehen und ihr Lebensraum nur schlecht auf der Karte verzeichnet war? Dass ich mehrere brennende Fragen nicht sofort im Internet nachschauen kann, ist für mich ein unangenehm ungewohntes Gefühl, an das ich mich auch nach vielen Wochen Elternzeitreise noch nicht gewöhnt habe. Es nutzt also alles nichts, wir müssen da hinauf um es herauszufinden. Auf dem Weg nach oben erfahren wir an kleinen Infopunkten, dass hier bereits vor 800 Jahren Menschen Jagd auf Rentiere machten und sich unter unseren Füßen eine 700 Meter tiefe, stillgelegte Miene befindet, die zu Spitzenzeiten 400 Menschen beschäftigte. Der verschlossene Eingang liegt nur wenige Meter neben dem Weg.

Oben angekommen gehen alle Wanderer in einen frachtcontainergroßen Metallquader mit stylischer Holzverkleidung. Um zu wissen, dass da keine Moschusochsen drin sind, muss ich mich da gar nicht erst rein quetschen und scheuche meine Familie statt dessen über die windgebeutelten Hügel daneben. Mit einer mittelmäßigen Fotobrennweite von 200 mm im Anschlag bleibt die Suche nach dem fernen Urzeitvieh im Tal leider erfolglos. Da wir extra wegen der Ochsen in den Nationalpark gekommen sind, kann ich mich nun schwer an der überwältigenden Schönheit des Panoramas erfreuen. Angeblich sind diese Tiere noch nicht mal scheu. Andere Touristen haben berichtet, wie ihnen die großen Zottelziegen gefährlich nahe, quasi vor die Füße gelaufen sind. Da empfinde ich es als etwas unfair, dass 48 Stunden der Suche erfolglos blieben. Nun ja, es ist eben kein Zoo mit Tieren auf Abruf.

Zumindest wollen wir vor dem Rückweg noch wissen, was im viel besuchten Metallcontainer los ist. Überraschender Weise erwartet uns im Inneren eine Rangerin des Nationalparkes. Professionell wechselt sie von Norwegisch zu Englisch, um auch uns etwas über Moschusochsen zu erzählen. Damit alles anschaulich wird, hat sie auf dem Boden Felle, Schädel und Hufe der Tiere verteilt. Zum Vergleich sind auch die deutlich kleineren Hufe der anderen Parkbewohner darunter, wie zum Beispiel dem Rentier. Wahnsinnig begeistert mich eine Mütze aus Moschusochsenfell. Obwohl sie ziemlich zerzaust ist, habe ich nie eine weichere Naturfaser in den Händen gehalten. Zudem ist sie noch um einiges wärmer als Wolle. „Meine neue Mütze für zukünftige Wintertouren im Schneesturm?“, frage ich mich selbst. Susi spricht aus, was ich auch vermute: „Das ist uns bestimmt zu teuer.“. Was soll ich sagen? Bei der Google-Suche zu einem späteren Zeitpunkt verhagelt mir der erste erspähte Preis von 300 € für eine Mütze aus 100% Quiviut-Wolle direkt die Lust zum Weitersuchen. Wir werden also weiter recycelte Plastikflaschen auf dem Kopf tragen, damit im Winter die Ohren nicht kalt werden.

Mit wenig Hoffnung auf eine positive Antwort möchte ich nun noch von der Parkmitarbeiterin wissen, ob es denn möglich ist, hier die ersehnten Moschusochsen zu sehen. Sie scheint verwundert über meine Frage. Im Nachhinein betrachtet war es auch eine dämliche Frage. Schließlich haben die vielen Wanderer nicht um sonst, exakt diesen Gipfel als Ziel auserkoren. Der Viewpoint Snøhetta ist das Gebäude des Jahres 2011 und perfekt dafür geeignet, um am breiten Panoramafenster durch das Fernglas der Rangerin auf die Moschusochsen im Tal zu schauen. Jetzt erkennen wir die drei dunklen Punkte am Fluss sogar mit bloßem Auge. Da freue sogar ich mich wie ein Kind mit Lutscher, auch wenn ich es mir nicht anmerken lasse.
Zudem gibt das preisgekrönte Aussichtshäuschen noch den Blick auf den einst höchsten Berg Norwegens frei. Zumindest dachten die Norweger, dass die Snøhetta das ist. Nun zumindest noch der höchste Berg Norwegens außerhalb des Jotunheimen Nationalparks ist sie dennoch der Inbegriff für Norwegens Bergwelt geblieben.

Da ich im Gegensatz zu Susi meinen Erwartungen zur Moschusochsenbegenung noch etwas hinterher hinke, willigt sie ein, das Kind die nächsten Stunden allein zu beschäftigen, wenn wir zurück am Auto sind. In dieser Zeit hetze ich schweißgebadet im Tal um den soeben erstiegenen Berg herum. Mit viel Glück erspähe ich fünf Zottelochsen an einer ganz anderen, als der erwarteten Stelle. Sie sind so freundlich auf ihrer Futtersuche durch das Gestrüpp ganz gemächlich vor sich hin zu trotten, damit ich sie in Ruhe ablichten kann. Dennoch möchte ich auf der weithin einsehbaren Ebene nicht bis auf den empfohlenen Mindestabstand von 200 Metern heran, weshalb ich mich mit einer Entfernung begnüge, bei der mein 200-mm-Objektiv gerade so brauchbare Bilder hinbekommt. Etwa 400 Meter könnten es sein.

Genau so hatte ich mir unsere letzten Stunden im norwegischen Gebirge vorgestellt. Morgen können wir voller Zufriedenheit den nächsten Abschnitt unserer Skandinavienreise ansteuern, die eindrucksvolle Küstenlandschaft mit Fjorden, Meer und Fischreichtum.

Den Szeneriewechsel können wir kaum erwarten und frischer, selbst gefangener Fisch gehört auch endlich auf den Reisespeiseplan.

Wir hoffen, dass es auch diesmal Spaß gemacht hat von unseren Erlebnissen zu lesen und verabschieden uns bis zum nächsten Mal. Kritik, Feedback und Kommentare sind wie immer herzlich willkommen.

Liebe Grüße,

Susann, Arttu & Hagen

Tipps zum Rørosbesuch: Kombiticket Olavsgrube & Schmelzhütte ist günstiger als Einzelkauf (180 NOK); warme Kleidung und feste Schuhe im Bergwerk (das ganze Jahr über 5°C) + eigene Taschenlampe gewährt mehr Einblicke; eine Jacke mit in die Schmelzhütte nehmen, da das Museum am Ende sehr kalt sein kann; Bergstadens Campingplatz ist nicht zu empfehlen (wenig Leistung zum normalen Preis); Pilze in der Region Trøndelag können vom Fallout Tschernobyls betroffen sein (nur vom Hörensagen); WLAN in der Schmelzhütte/Touristinformation und COOP-Einkaufsmarkt von Røros

Tipps zum Dovrefjellbesuch: der Nationalpark und seine Bewohner wird freundlich am Viewpoint Snøhetta erklärt; wer näher an Moschusochsen heran will, sollte 200 Meter Abstand halten, da sich die Tiere zu wehren wissen, wenn man zu nahe kommt (mit Hunden werden 500 Meter empfohlen); Vorsicht bei Metallteilen um Hjerkinn, die Gegend ist ehemaliges Militärgelände und noch nicht vollständig von Munition beräumt

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