Diesmal ging es nach Schweden: Nur mein Freund und ich, nur für acht Tage und diesmal im Winter. Dick verschneite schwedische Wälder, klirrende Kälte, vereiste Buchten und (außerdem für Hagen) große Fische der Dorschfamilie aus dem Kategatt im Kochtopf, standen auf der Zielliste; einfach gesagt: ein Wintermärchen zur Ablenkung von Uni- und Arbeitsstress. Die Vorbereitungen waren nicht weniger umfangreich als zu unseren längeren Touren. Zum ersten Mal begleiten uns eine digitale Spiegelrefelexkamera und alles an Solartechnik für Handy, Tab, usw., was man als anspruchsvoller, verwöhnter Vorstadtmogli so braucht. Ein längerer Trip wäre mit dieser Ausrüstung und einem Klacks mehr Essen im Gepäck problemlos möglich gewesen. Leider reicht Hagens Urlaub und meine freie Zeit neben den Hausarbeiten dafür nicht aus.
Es ist früh 08:00 Uhr. Die Autofähre der STENA-Line hat schon in Sassnitz abgelegt. Ziel: Trelleborg in Schweden. Auf Deck 7 versuchen wir jetzt die durchfahrene Nacht nachzuholen. Es ist kühl. Die guten Sofaplätze sind bereits belegt. Egal, Hauptsache ein Fensterplatz. Während ich wegen meiner Seekrankheit vorübergehend ausgeknockt bin, findet Hagen vorerst keine Ruhe. Drei Wochen zuvor wurden nahe Göteborg noch minus elf Grad Celcius gemessen, jetzt null! Die Webcams haben keinen Schnee mehr gezeigt und es regnete. Väterchen Frost, den Deutschland im Winter 2013/14 fast gar nicht zu sehen bekam, hat nun auch Skandinavien nicht mehr fest im Griff.
Aufbruch ins Schärengebiet
Noch am gleichen Tag gegen 16:30 Uhr fahren wir auf einen Pendlerparkplatz zwischen der Stadt Stenungsund und der Insel Orust, den wir gerade als Bleibe für unser Auto ausgewählt haben. Vor etwas mehr als einer halben Stunde hat es auf der Autobahn E6, ein Stück nach Göteborg mit schneien begonnen.
Gegen 17:30 Uhr soll die Sonne untergehen. Das heißt für uns in 60 Minuten Ausladen, Umziehen, Kajak aufbauen und einen Schlafplatz finden. Das Faltboot aufzubauen braucht allein schon knapp 40 Minuten. Nach 17:30 Uhr herrscht noch einige Zeit Dämmerlicht. Zwei gute Kopflampen tragen ihr Übriges zum Auffinden eines Schlafplatzes bei. Er ist nicht perfekt; nah am Wasser, unter Bäumen die tropfen, nicht plan und man hört die Bundesstraße. Dennoch reicht es für zehn Stunden etwas unruhigen Schlaf. Immer wenn ich aufwache tropft es stark aufs Zelt und der Wind schlägt die Zeltwände aneinander. Kurz vor Sonnenaufgang gegen 07:30 Uhr ist das leider immer noch so. Deswegen zieh ich mir gleich im Zelt den Trockenanzug an. Draußen sieht es so gar nicht nach meinem Geschmack aus. Regen, Wind, starker Nebel und zu allem Überfluss sind die vier Zentimeter Schnee vom Vortag auch weg. Wir schlucken das erste Mal und denken uns, dass der Urlaub schließlich auch gerade erst begonnen hat. Zweieinhalb Stunden später sitzen wir wieder im Kajak.
Die Orientierung im unbekannten Schärengebiet bei Nebel ist nervenaufreibend. Hagens noch nicht ganz auskurierte Krankheit ist da leider keine große Hilfe. Trotzdem schaffen wir in den nächsten 4 Stunden die halbe Strecke. Ziel ist der Zugang der Schärenküste zur offenen See. Unterwegs lässt sich durch die tropfnassen Watteschleier auf der Landschaft bereits deren Schönheit erahnen. Viel Genuss kommt dennoch nicht auf. Da man als Frau eh schon im Nachteil ist, was das Wasserlassen betrifft, sind die Einteiler extrem unpraktisch. Außerdem haben wir wegen der klirrenden Kälte unter den Trockenanzügen zu viel angezogen. Erst wird es zu warm, sodass wir schwitzen, danach beginnen wir leicht zu frieren, was durch den hinzukommenden auffrischenden Wind immer noch verstärkt wird.
Unser Fahrwasser ist nun offener geworden. Anders als am Startpunkt unserer Miniexpedition ragen jetzt weniger Landrücken aus dem Wasser um die anwachsenden Windstöße abzuschwächen. Unser Bug schneidet im Moment das Wasser an der Grenze zum Naturreservat im Südwesten der Insel Orust. Wir sind hinter einer Landzunge hervor gefahren, im Anschluss um eine kleinere Insel herum und direkt im Anschluss werden Wind, Wellengang und Strömung so stark, dass wir uns kaum noch fortbewegen können. Deshalb schlage ich vor für heute auf der eben umfahrenen Insel zu bleiben. Unser eigentliches Ziel ist dabei noch 3 Stunden entfernt. Hagen ist zunächst sehr enttäuscht, aber stimmt mir dann doch zu, als er mit Blick auf die Felsen erkennt, dass unsere Geschwindigkeit rapide gesunken ist.
Zwangspause bei Regen und Sturm
Ein paar Dutzend Meter quälen wir uns noch, bis der Strand zum Anlegen geeignet aussieht. Beim Boot entladen und dem anschließenden Herauftragen über die glitschigen Steine, stürze ich mit dem Bootsbug unterm Arm. Zum Glück bleiben wir beide unverletzt. Als das Zelt zwischen kleinen Büschen auf weichen Moosen aufgebaut ist, hat der Niesel endlich aufgehört. Er hat der Sonne Platz gemacht. Herrlich liegen uns die sturmumspülten Schäreninseln jetzt zu Füßen. Unser Lagerplatz ist eine von zwei Seiten mit Bäumen umschlossene Freifläche. Zu einer weiteren Seite steht ein 16 Meter aus dem Meer ragender runder Fels. An der vierten Seite stehen leider nur niedrige Büsche. Alles in allem macht dieser positive Tagesabschluss Hoffnung auf mehr. Wir kochen auf einer Gaskartusche etwas Warmes zum Abendbrot, um im Anschluss todmüde in die Kunstfasern zum Schlafen zu fallen.
Die Nacht bleibt ihrer schlechten Vorgängerin treu. Mit Sonnenaufgang hört wenigstens der Regen auf. So bleibt Zeit um nach einem warmen Frühstück im freien einen kleinen Inselrundgang zu machen. Überraschungen bleiben dabei aus. Es ist bloß ein großer bewachsener, teils bewaldeter Stein im Wasser. An eine Weiterfahrt ist heute nicht zu denken. Der Wind stürmt unvermindert aus der Richtung in die wir wollen. Laut Wetterbericht sind es Böen um die 70km/h, die das Wasser in die, aus unserer Sicht falsche Richtung treiben. In der späten Mittagszeit kommt der Regen zurück. Wieder ein Tag gelaufen. Wir sind frustriert. Der Urlaub ist in seiner ursprünglichen Fassung in Gefahr. Die kurze Reisezeit könnte uns jetzt zum Verhängnis werden. Wenn wir nicht rechtzeitig ans Ziel kommen, fehlt die Zeit für den Rückweg. Der aktuelle Wetterbericht aus dem Netz bestärkt mich noch im Bangen. Dieses Wetter soll den Rest des Urlaubes so bleiben. Wir beide verlassen das Zelt am heutigen Tag kaum. Auf Regen haben wir keinen Bock mehr. Dementsprechend mager fällt auch das Abendbrot aus.
Den Sonntagmorgen beginnen wir noch vor Sonnenaufgang und schauen gleich auf die Wettervorhersage. Gute Aussichten sehen wohl anders aus. Trotzdem besteht Hoffnung. Klärchen soll hin und wieder vorbei schauen. Außerdem sinkt das Schauerrisiko zum Teil auf null Prozent, bei leider beständigem Wind. Der Gedanke, auf dieser Insel zu bleiben rückt näher, aber erst einmal bis zum morgigen Tag abwarten. Immerhin ist erst die Hälfte des Urlaubs herum. Eine Insel am offenen Meer ist immer noch machbar, wenn die Rückfahrt in einen Tag gequetscht wird.
Zur Ablenkung hat Hagen sich ein schönes Fleckchen auf den Felsen zum Angeln gesucht. Die Engstelle hin zu einer anderen Insel, unterhalb der Felsen verspricht zumindest ein paar Meeresräuber. Während ich mich also mit einer sehr lästigen Hausarbeit abmühe, zieht Hagen mit drei Angeln los. Ein paar Mal ausgeworfen, viele Schrammen an den Ködern, einigem vom Wind verursachtem Fitz und vielen Hängern im Seetang später gesteht er dieser Stelle keinen Erfolg mehr zu. Zumindest war es schön mal wieder tätig zu werden. In Hagens imaginären Fangbuch steht diesmal zwar nichts drin, aber als ich zu ihm stoße, um mir ein bisschen die Beine zu vertreten, hat sich ein Seestern am Köder festgesaugt. Er wird aber umgehend zurück ins Wasser befördert.
Ein Felsen wandelt sich zur Trauminsel
So langsam haben wir uns damit abgefunden, dass wir in diesem Urlaub wohl nicht weiter rausfahren werden. Das ist zwar schade, aber nicht zu ändern. Wir genießen nach Möglichkeit den Ausblick von der Insel, schauen uns am Abend Filme auf dem Tablet an und hängen einfach nur ab. Nebenbei versucht Hagen etwas zu angeln und ich beschäftige mich mit Satzgrenzen in einem Gerichtsbuch des 15. Jahrhunderts. Das einzig Aufregende in diesen Tagen geschieht als Hagen versucht das Kayak allein umzuparken. Er setzt sich wegen der besseren Steuerfähigkeit ganz hinten hin, wodurch das Boot vorne stark angehoben wird. Der Wind tut sein Übriges, sodass er in die komplett falsche Richtung treibt. Ich renne ihm am Ufer nach und bekomme fast einen Herzinfarkt, als ich sehe, wie sich das Boot stärker anhebt und droht umzukippen. Zusammen schaffen wir es aber irgendwie es wieder an Land zu ziehen. Hagen setzte sich weiter nach vorn und schon geht alles viel leichter. Er paddelte in die Enge zwischen unserer und der Nachbarinsel und versuchte sein Anglerglück dort. Nach dieser Aufregung haben wir uns eine leckere Mahlzeit verdient. Wir sammeln Holz für ein Lagerfeuer, in dem wir Kartoffeln garen. Außerdem schälen wir Zwiebeln und Knoblauch, die wir mit Feta backen. Wir fahren beide nochmal mit dem Kayak raus. Die See ist sehr ruhig und der Tag verabschiedet sich mit einem malerischen Abendrot. Soll es morgen denn tatsächlich mal schönes Wetter geben?
Tatsächlich werden wir am Dienstag mit viel Sonnenschein begrüßt. Während Hagen wieder mit dem Boot zum Angeln fährt, nehme ich die Kamera und beschließe einige Fotos von ihm und der Umgebung zu schießen. Als ich mich gerade auf dem Weg zum hinteren Teil der Insel mache, kommt er mir aufgeregt entgegen. Er zeigt mir eine große Robbe, die sich faulenzend auf einem Stein sonnt. Leider fehlt unserer Kamera das geeignete Objektiv, womit wir ein tolle Großaufnahme aus der Entfernung schießen können. Näher heran können und wollen wir aber auch nicht, da wir das Tier nicht stören möchten. Wir begnügen uns daher damit, es zu beobachten.
Auch heute bleibt wieder einmal genug Zeit zum Kochen. Ich mache einen Knüppelkuchenteig, den wir allerdings nicht traditionell an einem Stock über das Lagerfeuer halten, sondern stattdessen in der Pfanne braten, quasi Knüppelkuchenbratlinge, wenn man so will. Dafür müssen wir kein Lagerfeuer machen, sodass die Prozedur nicht zu lange dauert. Wir beschließen an diesem Abend außerdem, dass es nur wenig Sinn hat noch länger hier draußen zu verweilen. Es war zwar erholsam und angenehm mal wieder ein paar Tage draußen zu verbringen, aber es wird auch zunehmend langweilig wenn man nur an einer Stelle fest sitzt. Wir beschließen also uns am morgigen Tag auf den Weg nach Göteborg zu machen, um die Stadt anzusehen. Quasi zum Abschied präsentiert der Himmel ein Farbenspektakel beim Sonnenuntergang, wie wir es selten zuvor gesehen haben. Ins Abendrot fahren ist Genusspaddeln pur.
Strapazenbelohnung in Göteborg
Nachdem wir bei nahezu Dauerregen den Rückweg bewältigt haben, kommen wir mittags wieder an unserem Auto an. Als sämtliches Equipment im Wagen verstaut ist, sehnen wir uns nur noch nach einer heißen Dusche und einem warmen Bett. Im Netz finden wir ein B&B, in das wir uns im 50 Kilometer südlich gelegenen Göteborg einquartieren wollen. Nachdem wir uns dort wieder kultiviert haben, schlendern wir noch ein wenig durch die wirklich sehenswerte Stadt. Ich freue mich, dass ich nun endlich einmal Gebrauch von meinen Schwedischkenntnissen machen kann, als wir Pizza essen und einkaufen gehen. Da der Urlaub bisher recht sparsam verlief gönnen wir uns jeder ein Bier, mit dem wir am Ende des Tages in unserem Zimmer entspannen. Dazu gibt es die schwedische Süßspeise Semlor – ein Traum in Kalorien und Sahne!
Ausgeschlafen und voller Tatendrang erkunden wir Göteborg auch am letzten Tag unseres Urlaubs. Wir besuchen das Stadt- und das Schifffahrtsmuseum und treten anschließend die Rückfahrt nach Trelleborg an. Während ich in Gedanken schon wieder bei der Uni bin, denkt Hagen bereits an den nächsten Urlaub und löchert mich mit Fragen. Mir geht er damit gerade etwas auf die Nerven, da ich noch keinen Zeitplan für das kommende halbe Jahr aufgestellt habe und zudem noch meine Masterarbeit zeitlich irgendwo unterbringen muss. Seine ständige Fragerei macht jedoch mit einem Mal Sinn, als wir beide sechs Wochen später auf einem Gipfel im Elbsandsteingebirge sitzen und er mich fragt, ob ich ihn im Oktober in Thailand heiraten will.