Aus Griechenland selbst können wir nun nur noch berichten, dass übertriebener Verzehr von Wassermelone nach 30 Minuten unaufhaltsam abführend wirkt und unser persönliches Urlaubsandenken für daheim aus 2,5 Kilogramm waschechtem Feta mit Schafs- bzw. Ziegenmilch im Verhältnis von sieben zu drei besteht. Zwei Tage Fahrt, ein Grenzübertritt und hunderte Autokilometer später, sehen wir die Sonne nun über dem serbisch/mazedonischen Grenzland bei Kumanovo versinken. Dabei führt uns die Suche nach einem Standplatz für die Nacht in eine sehr unangenehme Situation.
Die Fahrtstrecke der vier Tage
(ohne Zwischenhalte)
Zunächst bietet sich uns der gewohnte Anblick einer landwirtschaftlich genutzten, mediterranen Gegend. Mit einiger Entfernung zur Großstadt Kumanovo ändert sich das Straßenbild allerdings schlagartig, als sich ein kleines, ärmliches, muslimisches Dorf beiderseits der Straße entfaltet. Im Ort fehlt der Asphaltbelag zu großen Teilen, der Weg ist stark ausgespült, dreckige Nutztiere sind neben heruntergekommenen ein- bis zweistöckigen Häusern zu sehen und der Müll springt einem förmlich ins Auge. Unbehagen erzeugen bei uns aber weder die beiden Minarette oder der Zustand des Dorfes, als viel mehr die Tatsache, dass im sehr belebten Straßenbild Frauen völlig fehlen. Die ältesten Mädchen schätzen wir auf ein Alter von sechs bis sieben Jahren. Ansonsten sind nur Männer und Jungen aller Jahrgänge zu sehen. Hier wollen wir auf keinen Fall bleiben.
„Psst, da ist jemand!“
Mit Passierung der letzten Häuser wandelt sich die Ortsdurchfahrt zum breiten Schotterbett einer unvollendeten Landstraße, die in die Berge führt. Außerhalb der Laufreichweite zum unbehaglichen Dorf findet sich dann der geeignete Stehplatz für die Nacht. Ähnlich einem unfertigen, kleinen Autobahnparkplatz führt ein Abzweig von der Straße hinunter und zirka 300 Meter später wieder darauf. Durch einen bewaldeten zwei Meter hohen Erdwall ist der T4 fast vollständig vor Blicken von der Straße geschützt. Mit tollen 21°C Umgebungstemperatur schlafen wir alle drei den tiefsten Nachtschlaf seit Tagen. Zumindest bis mich Susi 02:30 Uhr weckt, um mir zuzuflüstern, dass irgendjemand an unserem Auto ist. Gleich darauf betätigt jemand den Öffnungsmechanismus der verschlossenen Hecktüren, gleichzeitig mit einer anderen Person an der rechten Schiebetür gefolgt von Klopfen und für uns unverständlichem Rufen. Das Lüftungsgitter der Schiebetür scheppert unter den Knöcheln des Klopfers metallisch. Von jetzt auf gleich sind wir hellwach. Susi schaut so erschrocken wie ich mich fühle und Arttu gibt keinen Laut von sich, als wüsste er um die angespannte Situation. Mit ziemlichem Herzschlag lunze ich vorbei am dunkelblauen Vorhang der getönten Seitenscheiben nach draußen. Der Schein mehrerer Taschenlampen zuckt um die Silhouetten von etwa sechs bis zehn Gestallten, die direkt neben dem Fahrzeug stehen. Während mein Hirn gerade realisiert, dass einer der Männer eine Kalaschnikow umhängen hat, sagt jemand „police“ und ich sehe den entsprechenden Patch an der Uniform des Polizisten im reflektierenden Licht aufleuchten.
Dass ich nach draußen komme, kündige ich auf Deutsch und Englisch an. Dennoch scheint sich niemand für die linke unbeleuchtete Fahrzeugseite des T4 zu interessieren an der ich aussteige. Spätestens mein Anblick in Buchsen mit Badeschlappen und die Beteuerung mit Familie hier zu sein, entspannen die Situation völlig. Die Polizisten sind, wie überall auf der Welt mit Dokumenten glücklich und gehen unsere Pässe prüfen. Die restlichen Männer tragen Zivilkleidung. Einer von ihnen im mittleren Alter erklärt auf Deutsch, dass er zeitweise in Zürich lebt und sie alle zusammen seit drei Stunden dieses Gebiet kontrollieren. Offenbar hat uns hier eine Art Bürgerwehr, wie sie in ganz Europa zur Zeit aus dem Boden zu schießen scheinen, aufgestöbert und die Polizei verständigt – immerhin. Er erklärt freundlich, dass sie mit uns kein Problem haben, ihnen nur das Auto verdächtig vorkommen würde und die Gegend für eine Familie nicht sicher sei.
Ich frage zwar dreimal nach, weshalb, bekomme aber stets die gleiche Erklärung, dass es nicht sicher sei. Wir sollen uns doch unten ins erste Dorf in Richtung Kumanovo stellen, weil wir dort in Sicherheit wären. Der Empfehlung für das suspekte Dorf kommen wir zwar nicht nach, sind uns aber dennoch einig, dass wir woanders hin müssen. Auf keinen Fall wollen wir die kleine Schar Ordnungshüter gegen uns aufbringen, indem wir einfach bleiben. Eine spätere Internetrecherche lässt mich vermuten, dass die nächtliche Patrouille entweder aus Sorge vor organisiertem Verbrechen aus Richtung Kosovo unterwegs war, oder sie, als eine der Nachwehen der Gefechte vom 08./09.05.2015 in der Gegend nach dem Rechten sehen wollten. Damals hatte es in Kumanovo Schusswechsel mit 22 Toten zwischen Polizei und Untergrundkämpfern (möglicherweise Kosovaren und Angehörige der albanischen Minderheit Mazedoniens) gegeben.
Zunächst sieht uns das unangenehme Dorf vom Vortag wieder. Zu dieser Uhrzeit wirkt es auf keinen Fall freundlicher. Dutzende, vor allem ältere Männer, durchstreifen in der Dunkelheit den Ort wie wachende Geister. Gegen 03:00 Uhr legen wir uns kurz vor Kumanovo erneut schlafen. In einiger Entfernung vernehme ich im Halbschlaf Schüsse, quietschende Reifen und Sirenen. Da hat es mir doch im Wald fern ab von alledem besser gefallen…
Widererwartend ratzen wir herrlich bis zum Sonnenaufgang durch. Ein Bauer treibt Kühe, Schafe und ein Pferd an unserem Auto vorbei, grüßt uns mit einem Lächeln und wir wünschen uns innerlich, dass sein Gemüt den mazedonischen Durchschnittsbürger repräsentiert.
Ende der Hitzeflucht
Am Abend ist die Strecke durch Serbien geschafft. An der Grenze nach Ungarn schreit Arttu zum Glück herzzerreisend, was die anstehende Kontrolle erheblich verkürzt. Mit nun wieder EU-Boden unter den Füßen erklären wir nur noch, an einem Feldrand stehend, einem besorgten Ungarn, dass wir nichts Böses im Schilde führen, um gleich darauf wieder Kraft im Schlaf zu tanken.
Griechenland und Mazedonien waren fest im Griff von Backofentemperaturen bis 40°C. Das hatte uns das Sightseeing nicht gerade schmackhaft gemacht. Serbien hingegen, ist der Sicherheit wegen, lieber bei Tageslicht zu durchqueren und damit auch nichts für einen Besichtigungsabstecher. Folglich brennen wir jetzt darauf, den vielen Kilometern hinterm Steuer wieder einen Sinn zu geben. Als erstes suchen wir uns deswegen einen großen Einkaufsmarkt der britischen Handelskette Tesco in Budapest und schaufeln einen Einkaufswagen voll Lebensmittel ins Auto um. Nächste Station der Sinnsuche ist Wien. Am späten Nachmittag erhaschen wir, zwischen transportablen Wohnpalästen, eine schattige Stelle auf dem Campingplatz Wien Süd. Vor 48 Stunden fühlten wir uns in dem armen muslimischen Dorf in Mazedonien noch beschämend wohlhabend und jetzt gehen wir in Anbetracht der Nachbarn fast schon als Bedürftige durch. Vor den Spitzenmodellen der Tabbert Wohnwagenpalette stehen auf den Auslegefußböden der Vorzelte (ein viel zu billiger Begriff dafür) Flachbildschirme, Zimmerpflanzen, Mikrowellen, eine Waschmaschine und sogar eine Bar. Es ist skurril wie man die eigene Selbstauffassung an der wechselnden Umgebung ändern könnte.
Den Abend verbringen wir an einem Ort von vergangenem Reichtum. Lange Zeit war Schloss Schönbrunn Sommerresidenz der österreichischen Kaiser. Beim Anblick des Eintrittspreises für die Gesamtanlage Schönbrunn (Gold Pass) rollen sich mir allerdings die Fußnägel hoch. 55,50 € pro Person!! Ob ich da mehr als den kostenfreien Park sehen will, weiß ich noch nicht. Zunächst entspannen wir jedoch alle zusammen im weitläufigen Schlosspark. Der allein war den Abstecher in Österreichs Hauptstadt schon wert. Am Hügel zwischen Neptunbrunnen und Gloriette im Gras genießen wir lange die kühle Abendstimmung mit Sonnenuntergang, während Arttu quiekend Gras ausreißt, an uns rum zu klettern versucht und freudig mit den Armen fuchtelt. Mit solchen Tagestemperaturen und der stetig besser werdenden Babyhaut kann die Elternzeitreise ganz ohne Hast weitergehen. Als nächstes auf der To-do-Liste steht eine der beiden Wiener Spezialitäten schlechthin – die Sachertorte – und zwei Tage im Bann von purem Gold.
Tipps zur Rückreise von GR: von Korinth nach Larisa sparen die einsamen und landschaftlich abwechslungsreichen Landstraßen Maut und 80 km Fahrtstrecke/dafür ist die Autobahn 30 min schneller, an heißen freien Tagen am besten die Küstenstraßen und alle Städte am Meer zw. Korinth und Athen meiden – Verkehrschaos, Belgrad auf der E75 durchfahren/Südumfahrung A1 ist in schlechtem Zustand und mit psychopatischen Fahrern bevölkert, Internetkauf der Maut für Ungarn spart Wartezeit und Geld