Jetzt gibt es kein Halten mehr! Basare, Ausgrabungen, Natur, Strände, Häfen und Burgen. Wir tauchen voll in die türkische Geschäftigkeit Kleinasiens ein. Auch wenn es etwas an Ruhetagen mangelt, wird dies die schönste Zeit unserer Tour werden. Gemeinsam mit unseren neuen Freunden in der Magirus Feuerwehr saugen wir alles vom versteckten Geheimtipp bis zur ausgetretenen Tourihochburg in uns auf.
Die Fahrtstrecke der Etappe
(gesamt 437 km)
Zunächst lasse ich mit einigem Bedauern die Gedenkstätten, Festungen und Bunker der Halbinsel Gallipoli bzw. Gelibolu links liegen. Die geschichtsträchtige Gegend zeugt vom jahrhundertealten Kampf um die Meerenge der Dardanellen, ganz besonders zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Die Wolken sauen die Landschaft aber dermaßen mit Schneeregen ein, dass ich Susi beipflichte, lieber sonnengewärmte Sehenswürdigkeiten in der Südtürkei anzusteuern. Während ich mich mit Arttu und Auto zur Asienfähre hinter 600 Metern Lkw anstelle, organisiert Susi im Hafen von Gelibolu Bargeld in Landeswährung und eine türkische SIM-Karte von Vodafone. Sechs Gigabite Datenvolumen mit tausenden SMS und Freiminuten kosten umgerechnet knapp 12 €. Obwohl die SIM für Ausländer nur 120 Tage nutzbar bleibt, ist der Preis sehr fair. Überhaupt sind mir auf unseren Reisen noch nie sportlichere Telefonkosten als in Deutschland begegnet.
Türkeieingewöhnung
Arttu und mir ist etwas unwohl in Susis Abwesenheit. Wir sind erst wenige Stunden im Land und schon schicke ich meine Frau inklusive Geldkarten/Pässen in einer fremden Stadt ins Hafenviertel für Erledigungen. Die Menschen sind freundlich und vom Erscheinungsbild der Gemeinde hat sich im Vergleich zu den griechischen Städten vor der Grenze nichts verändert, außer einer etwas höheren Anzahl harmloser Gotteshäuser im Stadtbild. Obwohl ich mir objektiv absolut sicher bin, dass alles in Ordnung ist, will das subjektive Unwohlsein nicht verschwinden. Schlimm, was die einseitige Berichterstattung in unserer Heimat mit meinem Unterbewusstsein gemacht hat…
Susi sieht das zum Glück viel entspannter. Locker kommt sie zu den wartenden Lkw zurückgeschlendert und berichtet, dass nicht nur alles geklappt hat, sondern ihr die Leute trotz Sprachbarriere sehr zuvorkommend weitergeholfen haben.
Es ist bereits dunkel als uns die Fähre für umgerechnet 15 € über die Meerenge der Dardanellen übersetzt. Arttu begrüßt den Hafen von Lapseki mit lauten „Hallo Asien“-Rufen. Da er so gut drauf ist, fahren wir gleich noch die eine Stunde bis Troja weiter. Diverse Reiseführer haben zwar kein gutes Haar an der Ausgrabungsstätte gelassen, aber wenn wir einmal hier sind, wollen wir das dann doch gern selbst beurteilen.
Onkel Marks Stellplatz befindet sich für diese Nacht an der Zufahrtsstraße zur Ausgrabung, direkt vor dem Museum. Ob die gleiche Aktion zum Beispiel vor der Berliner Museumsinsel auf dieselbe Gleichgültigkeit gestoßen wäre wie hier, bezweifle ich etwas. Zum Glück sind wir an diesem eiskalten Abend die einzigen ankommenden Touristen, weshalb der Lkw wohl niemanden stört. In der Früh werden wir zum ersten Mal vom Muezzin geweckt. Obgleich der Gebetsaufruf nicht lauter ist, als das nervige Gebimmel mancher Kirchenglocke, ringt er uns doch ein kurzes Gegrummel ab, ehe wir wieder einschlummern. Zwei Stunden später sind wir dann freiwillig wach.
Mit dem Unwillen den Kamin anzuheizen, stopft Susi das Frühstück in den Rucksack und wir betreten wenige Minuten später das neu gebaute Museum über Troja. Es ist erst seit zwei Monaten geöffnet, echt umfangreich, rollstuhlgerecht, sehr modern eingerichtet und auch mit kindgerechten Spielen zwischen den Exponaten ausgestattet. Dass Teile der Toiletten noch im Bau sind und eine Heizungsanlage offensichtlich nicht existiert, scheint die vielen Museumsaufseher in ihren dicken Steppjacken genauso zu stören wie die einzigen drei Touristen im Haus. Um nirgendwo anzufrieren, verschieben wir das Frühstück. So gut wie die Geschichte im Museum aufbereitet wurde, ist der Hunger auch schnell vergessen. Einziger wirklicher Negativpunkt bleibt der Zustand mancher Exponate. Einige wenige Ausstellungsstücke mit Kupferanteil weisen frische Oxidationsspuren auf.
Dass die Ausgrabungsstätte von Troja nur „von ihrem Ruhm lebt“, da sie „weit hinter anderen historischen Orten zurücksteht“ können wir absolut nicht bestätigen. Die Autoren mancher Reiseführer scheinen bei diesem Statement wohl voneinander abgeschrieben zu haben. Wären sie vor Ort gewesen, hätten sie sicher eine andere Einschätzung getroffen. Selbst wenn man Troja nicht als eine der Geburtsstätten moderner Archäologie ansieht, ist die alte Stadt von großer historischer Bedeutung. Dank der Ausgrabungen bekommt der Besucher auch mehr als bloße Trümmerfelder zu sehen. Die Reste der Stadtmauern geben einen guten Eindruck von ihrem einstigen Verteidigungswert, genauso wie der Audioguide manch anderes stummes Steinfundament in den richtigen historischen Kontext rückt.
Kindergeburtstag am Meer
Am nächsten Tag steht Arttus Geburtstag an. Er wünscht sich, ihn am Strand zu verbringen. An der verbauten türkischen Westküste ist es gar nicht so leicht, einen einsamen Platz am Meer zu finden, der auch den Ansprüchen von Mama und Papa genügt. Östlich des Dorfes Kumburun zeigt das Satellitenbild von Google Maps einen großen, straßenlosen Wald am Strand, der einen Versuch wert sein könnte. Als ich den Lkw dann in einen matschigen Weg steuere, der wegen enger Bebauung keine Wendemöglichkeit bietet, hoffe ich, dass es mehr als ein bloßer Versuch wird. Auf den nächsten fünf Kilometern durch den Wald, bitte ich, den Gott an den ich nicht glaube, dass uns kein Traktor oder sonst wer entgegenkommt. Der Untergrund ist vom tagelangen Regen in Verbindung mit auftauendem Frost so durchgeweicht, dass das Wasser schon nicht mehr versickert (siehe Beitragsbild mit Lkw im Wasser). Also bloß nicht stehen bleiben oder ausweichen müssen, sonst werden wir wohl schaufeln müssen. Dass auf der gesamten Strecke die tiefhängenden Kiefernäste meinen Lack von oben bis unten zerkratzen, juckt uns mit Blick auf den Weg erstmal nicht. Durch den ziehen die großen Reifen nämlich mitunter so tiefe Furchen, dass ich da wohl oder übel mit dem Spaten ran muss. Andernfalls werden da selbst Pkw mit Allrad nicht mehr durchkommen.
Dass am Ende der schlechtesten Wege die schönsten Stellplätze liegen, stimmt zum Glück in den meisten Fällen. Arttus Geburtstagsstrand hat mit ausgedehnten Kiefernwäldern, einer Steilküste, beschaulichen Ziegenherden, langen sandigen Ufern und ein paar alten Bunkern zum Stöbern alles, was wir uns wünschen können. Während ich mir bedröppelt den zerstörten Weg anschaue, stürmt unser junger Mitfahrer direkt in den Wald zum Zapfensammeln.
Als ich noch nach der inneren Motivation zum Schlammschaufeln suche, nähert sich aus der Ferne das seltsame Geräusch eines Autos. Normale Fahrgeräusche sind abwechselnd mit Motoraufheulen und durchdrehenden Rädern zu hören. Nach ein paarmal Aufsitzen, einigen Stopps zum Anschieben im Schlamm und diversen Umwegen über Waldboden zum Umgehen der größten Matschlöcher rollt der Pkw schließlich langsam an uns vorbei. Es ist noch nicht einmal ein Geländewagen. Die Insassen grüßen freundlich und bedeuten uns gestikulierend, dass sie den Lkw toll finden. Neben der Erleichterung nicht Schaufeln zu müssen, schwingt in mir die Frage mit, was ich alles falsch mache, dass ich ein Offroadungetüm brauche, um an diesen Strand zu gelangen. Offensichtlich geht das mit etwas Abgebrühtheit auch anders. Zur Schonung meines Egos kommen die Angler am nächsten Tag wenigstens alle in Geländewagen.
Zumindest hat sich die Anfahrt absolut gelohnt. Arttu möchte nach dem Aufstehen gleich zum Strand oder Wald. Die Umgebung selbst scheint bereits Geburtstagsgeschenk genug zu sein. Er bekommt zwar noch ein Buch vom Kleinen Maulwurf von uns, aber das rangiert in seiner Wertigkeit offensichtlich nicht höher als ein Eimer voll Matsch. Darüber sind wir allerdings nicht traurig, ganz im Gegenteil. Getoppt wird der sonnige Geburtstag nur noch vom Besuch der Überraschungsgäste. Mit Ihrem Erscheinen ruft Arttu begeistert: „Schau Mama! Da kommt Mathilda mit der roten Feuerwehr.“ Mit der Maßgabe nur so weit zu gehen, dass die Lastwagen noch in Sichtweite sind, verschwinden Mathilda, Toni und Arttu zum Rumrautzen im Wald.
Das Geburtstagskind darf heute selbst bestimmen, wann’s in die Koje geht. Eine Strandtour bei Dunkelheit ist somit obligatorisch. Der gesamte Tag hat jedoch so viel Kraft gekostet, dass der kleine König nach dem Abendbrot nur unwesentlich später einschläft als an normalen Tagen. Wir wünschten wirklich, dass wir diese Idylle zu jedem Ehrentag unseres Kindes bieten könnten.
Wirklich besinnliche Zeit
Kurz nach Arttus Schlupftag steht ein Fest ins Haus, dessen Sinn etwas abhandengekommen ist. Zumeist bedeutet Weihnachten in Deutschland: Geschenke-Kauf-Marathon, überfüllte Weihnachtsmärkte und Termindruck beim Einhalten der viel zu vielen Essenverabredungen. Ganz anders in diesem Jahr. Geschenke gibt’s nicht und Weihnachten ist hier bloß ein ferner exotischer Brauch. Die menschenleere Ruinenlandschaft auf dem Berg von Assos ist dagegen Besinnlichkeit pur. Schade nur, dass unsere Familien nicht hier sein können.
In die Rolle einer angenehmen Ersatzfamilie ist jedoch die Feuerwehrbesatzung hineingewachsen. Das Reisen mit ihnen ist besonders angenehm, weil sie eine genauso entspannte Weltanschauung haben und wir obendrein die Lastertreffen nur an den Orten stattfinden lassen, die wir alle sehen wollen. Niemand muss sich für die anderen verbiegen.
Nachdem wir die alten Steine von Assos und die Kinder, die dort lebenden Streunerkatzen bewundert haben, verlassen wir die Ausgrabung. Die vom Stadtberg herunterführenden Gassen sind allesamt beidseitig mit Andenkenständen gesäumt. Jetzt im Winter sind sie aber leer. Der Ort Behramkale wirkt daher angenehm verschlafen. Entsprechend einfach finden wir einen freien Tisch im Restaurant mit der schönsten Fernsicht Richtung Bergwelt im Landesinneren. Dominics Überlegung, welche Kellnerreaktion dieses Mittagessen ohne Reservierung zur Weihnachtszeit in Deutschland hervorgerufen hätte, lässt uns schmunzeln. Ganz zu schweigen von den drei Kindern, die gerade zwischen den Tischen auf und ab fegen. Während sie Katzen streicheln, durcheinander plappern und jede Ecke des Restaurants erkunden, lösen sie bei den Angestellten ausschließlich Sympathie aus. Das letzte Eis bricht spätestens, als die kleine Mathilda den Kellner fragt: „Ekmek lütfen?“ (Brot bitte?).
Was sonst noch in der Speisekarte steht, ist mangels richtiger Türkischkenntnisse leider etwas unklar. Der Einfachheit halber wählen wir die Seite mit den schönsten Bildern aus und bedeuten, dass wir gern alle Speisen darauf bestellen möchten.
Daraufhin gibt es als weihnachtliches Überraschungsessen verschiedene käsegefüllte Teigtaschen, eine Schmorpfanne, frisches Gemüse, diverses Hammelfleisch, eine Art Pfannkuchen in verschiedenen herzhaften Ausführungen, Ayran und Brot – ein 50 € günstiger Traum auf Türkisch von dem nichts außer kahlgeputze Teller bleiben.
So erfüllend wie die letzten Reisewochen waren, sind wir bereits jetzt absolut zufrieden mit unserer Tour. Alles was jetzt noch kommt, ist Bonus.
Ein paar Regenstunden pro Tag lassen sich da auch gut gelaunt verkraften. Beispielsweise verbringen wir diese im kostenlosen Museum für Olivenölherstellung (Muze artcafe)
in Küçukkuyu östlich von Assos. Obwohl die Ausstellung in keiner Weise für Kinder aufbereitet ist, hat Arttu Interesse an den verschiedenen Gerätschaften. Es liegt wohl daran, dass es kaum etwas gibt, was für ihn wichtiger als Nahrungsaufnahme und -herstellung ist. Eingelegte Oliven stehen seit Griechenland dabei genauso hoch in seiner Essensrangfolge wie Schafskäse oder andere in Olivenöl eingelegte Speisen. „Ich möchte ein bisschen Öl mit Gegröhl“, verlangt er somit nicht nur zu den Mahlzeiten, sondern es wird auch zum Leitspruch, als er Tage später das Erlebte nachspielt. In seinem Sandeimer sammelt er die Früchte unter den Olivenbäumen ein. Er erklärt uns, dass man die Oliven mit einem Stein zermatschen muss, um anschließend das Öl herauszupressen. Natürlich müssen wir es unter seiner Aufsicht nachmachen, damit auch wir wissen, wie das geht 🙂
Trubel auf Türkisch
Da uns bisher eher antike Kultur unter die Augen gekommen ist, möchte Susi nun etwas Lebendigeres erleben und einen Basar besuchen. Reiseführer und Internet sind sich einig, dass der nächste in der Kreisstadt Edremit stattfinden wird. Unter den von Google Maps ausgewiesenen Welldächern im Osten der Stadt finden wir allerdings keinen Wochenmarkt; nur parkende Autos. Um sicher zu gehen, unternehmen wir einen längeren Spaziergang durch die angrenzenden Wohngebiete. Dass der „haftalik pazar“ heute stattfindet, wird uns zwar allerorts bestätigt, wo er sein soll, verstehen wir aber nicht.
Da in Ayvalık bereits morgen wieder ein Markt stattfindet, zünden wir den DDR-Motor und starten gen Süden. Im Gewirr der Einbahnstraßen ist das Navi allerdings genauso überfordert wie mein Orientierungssinn. Schlussendlich steckt der IFA in einer Gasse, die sich durch parkende Autos auf eine Breite von knapp 2,60 Meter verengt. Nach der langgezogenen Engstelle bleibt nur die Möglichkeit, nach links abzubiegen. Ich sondiere zu Fuß die Lage. Hinter uns bildet sich bereits eine Autoschlange. Mit dem großen Wendekreis vom Lkw wird aber auch das Abbiegen in der Gasse zur Rangierarbeit. Es bleibt nur: Augen auf und durch.
Mit den Köpfen aus den Fenstern und eingelegtem Kriechgang tasten wir uns vorwärts. Der L60 passt passt mit wenigen Zentimetern Luft geradeso hindurch, allerdings nur, weil seine breiteste Stelle höher liegt, als die abgeparkten Autos groß sind. Inzwischen hat unser ungewöhnliches Gefährt einige Schaulustige angelockt. Gleich mehrere unterstützen Susi dabei, mich beim Vor-/Zurückspiel zum Abbiegen einzuweisen. Erst jetzt realisiere ich, dass noch niemand die sonst so inflationär genutzte Hupe betätigt hat. Statt zu schimpfen findet sich an jeder meiner Fahrzeugecken ein Passant, der unaufgeregt einweist. Die einzigen Gestressten scheinen wir zu sein.
Leider wird sich das auch nicht so schnell ändern. Nach meiner Altstadtfahrstunde finden wir nämlich unfreiwillig den Basar. Nach dem Abbiegezeromon rollen wir unmittelbar in ihn hinein. Obwohl das nur die Ausläufer des Wochenmarktes sind, empfinde ich es zunächst nicht wirklich als Glücksfall, ihn doch noch gefunden zu haben.
Nachdem das ausgestanden ist, zweifelt Susi etwas an meinem gesunden Menschenverstand, denn nun möchte ich zu Fuß zurück zum Tumult. Dass wir fast 3000 Kilometer mit dem Lkw durch Europa gefahren sind, um nun diesen Basar zu verschmähen, würde aber auch ihr nicht gefallen.
Zum ersten Mal fühlt es sich nach Kulturschock an, denn wir sind etwas überfordert. Die Gassen sind beidseitig durch unzählige Bauernstände, Bäckereierzeugnisse und Kleidungsverkäufer eingeengt. Während einige Händler rufen, um ihre Waren anzupreisen, schieben sich die Menschenmassen unüberschaubar in alle erdenklichen Richtungen. Damit das Chaos perfekt wird, bahnen sich unzählige Teeausträger, Leute mit Handkarren und ein paar Motorradfahrer ihren Weg durch die Einkaufenden.
Mit der Zeit gelingt es uns jedoch an der Geschäftigkeit teilzunehmen und auf angenehme Weise in den Trubel einzutauchen, ähnlich wie in ein wogendes warmes Meer. Bei genauerem Hinsehen sind die Menschen hier nämlich unaufgeregt, nicht gestresst und durchweg freundlich. In den Stunden, die wir inmitten der Massen verbringen, rempelt uns nicht einmal jemand an.
Am wenigsten Eingewöhnungszeit scheint Arttu zu brauchen. Seit Betreten des Marktes sitzt er gut gelaunt auf meinen Schultern und krümelt mir begeistert den Kopf voll. Dieses Streetfood-Erlebnis haben wir seit unserem Thailandbesuch vor vier Jahren vermisst. Die besten Ecken sind die, an denen man von Schnitzel mit Pommes noch nie etwas gehört hat und Speisen angeboten bekommt, die einem selbst unbekannt sind. Die Ware vor dem Kauf zu kosten, ist in der Regel kein Problem. Zudem bekommt Arttu auch gern mal etwas ohne Anlass geschenkt. Auf jeden Fall sind unsere Mägen, Taschen und Rucksäcke nach viel zu kurzer Zeit übervoll mit Essen aus der Region. Unser Wocheneinkauf an frischen Lebensmitteln und Backwaren benötigt hier keine zwanzig Euro.
Tags darauf stehen die beiden deutschen Oldtimer Lkw wieder vereint. Wir treffen uns fünfzig Kilometer südlich in der Kreisstadt Ayvalık. Obwohl wir nichts einkaufen müssen, stürzen wir uns schon wieder ins Wuling eines Basars. Der ist diesmal zwar nicht so groß wie in Edremit, aber insgesamt etwas hübscher. Die Altstadtgassen sind noch enger und die alte Bausubstanz wirkt historischer als in Edremit.
Als anschließenden Übernachtungsplatz entscheiden wir uns für Christinas Vorschlag: den befahrbaren Aussichtsfelsen Şeytan Sofrası, zu Deutsch Teufelstisch. Dort oben ist im Winter genügend Parkfläche frei, damit beide Lkw Platz finden. Abends genießen wir alle gemeinsam den Sonnenuntergang mit Blick über duzende Buchten und Inseln.
Nach der Nacht fahren wieder beide Lkw ihrer Wege. Der rote Magirus tuckert bereits Richtung Pergamon und Izmir. Wir hingegen rollen lediglich den Aussichtsfelsen hinunter, um zwischen Strand und Flamingos einen Ausruhtag einzulegen. Als Arttu dort mit Matschhose und Stiefeln im Wasser steht, hält unweit von ihm ein Pkw voller Frauen aller Altersstufen. Diesmal ist aber nicht unser IFA von Interesse, sondern ein türkischer Song im Radio. Die Räder stehen noch gar nicht richtig still, da fliegen bereits die Türen auf, der Lautstärkeregler wird auf Anschlag gedreht und die Damen springen aus dem Auto, um zu tanzen. Wenige Minuten später ist das Lied vorbei, das Radio leise und die Mädels steigen wieder ein als wäre nichts gewesen. Dieses Land wird mir immer sympathischer!
Die beeindruckendste Ausgrabung, die wir je sahen…
… befindet sich in Bergama und trägt den antiken Namen Pergamon. Nie zuvor haben wir derart große Säulen auf einem so exponierten Bergrücken gesehen. Getoppt wird das nur noch vom Theater der Stadt. Es wurde für 10.000 Zuschauer direkt in den Berghang geschlagen. Nur Arttu lässt das alles recht kalt. Sein Tageshighlight ist die Seilbahnfahrt zum Burgberg.
Einen Schlafplatz finden wir zum Tagesende auf einer Schotterfläche, die vermutlich in der Hochsaison der städtische Busparkplatz ist. Direkt angrenzend erheben sich die hohen Mauerreste der Roten Basilika, eine historische Brücke überspannt den Fluss und einige alte Häuser sind dem Verfall preisgegeben. In letzteren scheinen sporadisch ein paar Klebstoffbegeisterte zu nächtigen, von denen aber weit und breit keiner zu sehen ist. Neben dutzenden putzigen Hundewelpen entdecken wir nämlich in allen Abrisshäusern hunderte von leeren Leimtuben.
Typisch Türkei?
Was uns dagegen noch häufiger begegnen wird, sind – ganz klischeehaft – Teppiche. Bisher wissen wir allerdings absolut nichts darüber. Deshalb folgen wir der Einladung des freundlichen Türken in sein Teppichlager der „Pergamon Handmade Carpet & Kilim Women Cooperative“. Obwohl wir von Anfang an klarstellen, dass wir in einem Lkw wohnen, in dem kein Platz für Teppiche ist, nimmt er sich immens viel Zeit für uns. Sogar eine der Teppichknüpferinnen wird von ihm, im Feierabend begriffen, auf den Stufen zur Straße weggefangen, um uns ihr Handwerk vorzuführen. Für uns Unwissende gibt es zur Erklärung eine Vorlage. Die Dame jedoch knotet das aufwendige, mehrfarbige Muster aus dem Gedächtnis. Auf Nachfrage bestätigt sie, dass dies ganz normal sei.
Parallel zu diversen Teppichmustervorstellungen erhalten wir Tee gereicht. Da alle möglichen Reiseführer nicht müde werden, alle möglichen Warnungen vor Teppichgeschäften auszusprechen, sind wir uns über die Bewertung dieser Begegnung etwas unsicher. Auch dass wir hier den besten Preis zu bester Qualität bekommen, kann ich mangels Erfahrung natürlich nicht einordnen. Plausibel könnte es jedoch sein, da die Teppiche wohl ohne Zwischenhändler direkt von den Knüpferinnen kommen. Auf jeden Fall hat sich keiner von uns zu irgendeiner Zeit unwohl oder bedrängt gefühlt. Das Gegenteil war der Fall. Alle interessierten Fragen unsererseits zu Herstellung, Webstühlen, Knoten, Bezahlung, Kosten oder dem Leben in Bergama allgemein wurden stets ausführlich beantwortet. Mir ist es zudem sympathisch, dass der Teppichhandel nicht auf touristischen Hochglanz getrimmt wurde, sondern aussieht wie ein ganz normales türkisches Geschäft. Wer sich persönlich ein Bild davon machen möchte, dem verlinke ich den Ort der Kooperative bei Google Maps.
Nach genügend Erlebnissen für einen Tag erledigen wir nur noch ein paar Einkäufe im Umfeld der großen Roten Basilika. Durch Zufall kommen wir dabei noch in eine Backstube in der Arttu live erleben kann wie die typischen spitzen Weißbrote geknetet und gebacken werden. Natürlich erhält er auch wieder eine Kleinigkeit geschenkt.
Mit diesen Eindrücken möchten wir uns zunächst verabschieden und hoffen, euch hat der Artikel gefallen.
Bis bald im zweiten Türkeiteil
Susi, Arttu & Hagen
Es macht immer wieder Spaß eure Reiseberichte zu lesen. Man ist praktisch mit dabei und bekommt schon ab und zu Fernweh. Auch wenn wir froh sind euch wieder bei uns zu haben, sind wir schon gespannt was da noch in Zukunft so kommt .
👍👏😀 super Erlebnisbericht, weiter so.
Gruß Bine und Uwe
Hallo Ihr beiden,
ja, wir werfen bereits die Ideen zusammen wo es als nächstes hingehen könnte. Anders fällt es auch schwer wieder in den Alltag in Deutschland zurück zu finden. Vielleicht bietet es sich beim nächsten Mal auch an, dass Ihr auf einen Besuch im Reiseland eurer Wahl vorbei kommt? 🙂
Vielen Dank fürs Lob. Es freut uns, dass der Bericht ein bisschen Fernweh geweckt hat. Ein weiterer Artikel zu unserer Reise ist auch noch in Arbeit.
Liebe Grüße
Susi, Arttu & Hagen