Vor dem viel zu zeitigen Abschluss unserer Türkeireise erleben wir ein stolzes und vielgesichtiges Land: eine Nation zwischen Gastfreundschaft und Massentourismus, stiller Natur und spektakulären Volksfesten, pulsierenden Metropolen und ärmerer Landbevölkerung. Doch wie überall sind es auch hier die Meinungsverschiedenheiten zur aktuellen Politik, die sich quer durch die Gesellschaft ziehen. Getragen von Hilfsbereitschaft weit über deutscher Vorstellungskraft und einer spektakulären Offenheit gegenüber uns Fremden, ist unser Fazit absolut positiv. Wir können es nur empfehlen, die Brücke nach Asien zu betreten und die Türkei abseits der touristischen Hotspots kennenzulernen!
Zunächst erhalte ich Nachhilfe in Allgemeinbildung: İzmir? Nie gehört! Oh wie peinlich… das ist eine Millionenstadt an der türkischen Westküste? Na gut, ein Grund mehr diese Region zu besuchen. Christina und Dominic sind mit dem roten Magirus bereits dort. Mit wenigen Stunden Verspätung schließen wir aus Bergama zu ihnen auf. Silvesterstellplatz für die beiden Expeditionslaster wird der große Parkplatz westlich der Levent Marina in Izmir. Die Anreise inklusive Großstadtquerung ist recht entspannt. Total hippelig sind wir bloß, weil ich im Vorfeld die schlimmsten Verkehrsszenarien für Lkw-Fahrer zur Viermillionenstadt zusammenspinne. Nichts davon tritt ein. Auf dem Parkplatz angekommen, entdecken wir schon von Weitem den roten Feuerwehrlaster. Er ist umringt von einheimischen Campern und deren Wagen. Ohne die Szenerie zu hinterfragen, begegnen wir ihr aufgeschlossen: Wir schütteln ein paar Hände, besichtigen die fahrbaren Unterkünfte unserer neuen Nachbarn, tauschen etwas Essen aus und setzen uns zum Speisen vor unser Fahrzeug.
Silvester auf Türkisch
Bisher können wir aus eigener Erfahrung bestätigen, dass Camping in der Türkei eine wenig verbreitete, teilweise sogar unbekannte Randerscheinung ist. Wie immer sind es die Ballungszentren, die gesellschaftliche Prozesse beschleunigen. Es ist rückwirkend betrachtet deshalb wenig überraschend, dass die Campergemeinde um uns herum problemlos zwei durchschnittliche deutsche Campingplätze zum Überquellen brächte. Obwohl einige hochpreisige Mercedes SLK und Pkw von Audi darauf hindeuten, dass Camping eher zum Spleen einer wohlhabenden Großstadtschicht gehört, wirkt hier kaum einer abgehoben. Neben seriengefertigten Wohnanhängern stehen auch viele eigene Ausbauten. Die Eigentümer zeigen auf Nachfrage gern ihre fahrenden Wochenendbehausungen und freuen sich genauso wie wir über Gespräche zu verschiedensten Themen. Dass die wehmütig stolzen Gefühle für ihren bereits vor 70 Jahren verstorbenen Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk ehrlich von Herzen kommen, statt nur ein Vorurteil zu sein, ist für mich dabei ähnlich überraschend, wie für meinen Gesprächspartner die Tatsache, dass wir als Deutsche kein Interesse an Fußball haben.
Negativ nachdenklich stimmt mich dagegen die türkische Internetzensur. Seitdem wir im Land sind, ist das freie Onlinelexikon Wikipedia genauso gesperrt wie manche meiner Facebook-Gruppen (zum Beispiel „Reiselust mit Expeditionsmobilen und Allradfahrzeugen“). Als Dominic und ich wissen wollen, als wie großen Lebenseinschnitt unsere Parkplatznachbarn diese Zensur empfinden, schauen wir in ratlose Gesichter. Sie haben noch nie in ihrem Leben von Wikipedia gehört. Für den Rest des Abends frage ich mich, welche Wissenslücken es verursacht, in Deutschland zu leben…
Das Angenehmste am zwei Tage später folgenden Jahreswechsel ist, dass es nahezu nichts darüber zu berichten gibt. Private Feuerwerksartikel gibt es nirgends zu kaufen, weshalb schlachtenähnliche Szenen wie im heimischen Dresden ausbleiben –ebenso vermüllte Straßen oder tagelanger Lärm. Auch abwesend sind aggressive Trunkies oder die dafür vorgesehene Bereitschaftspolizei. Nach dem (von Dominic und mir durch Dussligkeit verpassten) Stadtfeuerwerk gehen Tausende junge Leute gut gelaunt und friedlich ihrer Wege. Silvester kann also auch in einer Großstadt augenscheinlich friedlich und schön sein.
Noch als Tipp am Rande: Wenn euch euer Taxifahrer in Izmir nach dem Einsteigen fragt „Speed?“, dann antwortet bloß nicht mit einem verhaltenen „evet“ (ja) wie wir. Sonst wird er landesuntypisch den Sicherheitsgurt anlegen, mit beiden Händen das Lenkrad umfassen und selbst einen Dacia als über 120 km/h schnelles Geschoss durch die Innenstadt prügeln. Auf der Rücksitzbank gab es für Dominic nicht einmal Gurte zur Nervenberuhigung. Aber lebendig fühlt man sich nach der Ankunft dann allemal.
Alte Steine
Eigentlich war ich mir mit Susi einig, dass wir fürs Erste ausreichend historische Ausgrabungen gesehen haben. Etwas Ruhe in Verbindung mit abgeschiedener, idyllischer Natur wäre viel schöner. Der befahrbare Strandabschnitt des Pamucak Beach ist deshalb wie geschaffen als nächstes Ziel.
Für die Kinder ist der Platz ebenfalls traumhaft. Nur Arttus Eltern verfallen mal wieder in ihre „Wenn-wir-schon-mal-hier-sind-Mentalität“. Die altgriechische Stadt Ephesos befindet sich weniger als acht Kilometer landeinwärts von uns. Abgesehen von einem Seelenfänger, der uns nahe der Ausgrabung in ein überteuertes Teppichgeschäft hineinschwindelt, bereuen wir den Besuch jedoch nicht.
Zugegebenermaßen zieht mir die bereits sechste Ausgrabung dieser Reise nicht mehr den Käse von der Stulle, aber Susi ist weiterhin tief beeindruckt. Zwar weiß ich um die Bedeutung der alten Metropole mit dem über 20.000 Menschen fassenden Theater und dem Artemis Tempel als zerstörtes Weltwunder. Ich kann mir nicht im entferntesten ausmalen, welchen Eindruck die monumentalen Bauten bei einem Bauer der damaligen Zeit hinterlassen haben müssen, nachdem dieser sie zum ersten Mal sah. Zweifelsohne wird Ephesos seinem Ruf als Welterbe gerecht. Umso mehr bedaure ich es, dass ich gerade von alten Steinen etwas übersättigt bin.
Genau im richtigen Moment läuft mir da in einer Facebook-Gruppe namens „DeveGüreşi“ (=Kamelringen) der Veranstaltungskalender für die Kamelkämpfe in der Westtürkei über den Weg. Dominic hatte mich vor einiger Zeit auf die Idee gebracht, doch nicht einmal die Touristeninformation von Kuşadası wusste von einem Wettkampf in der Nähe. Da diese Infolücke nun geschlossen ist, rollen wir alle gemeinsam in der Gemeinde İncirliova auf den schlammigen Festplatz am westlichen Ortsrand. Die fahnengeschmückte Arena aus Maschendrahtzaun und umgebenden Pritschenhängern als Zuschauertribünen steht bereits am Vorabend der Veranstaltung. Zwei Stellplätze finden wir hinter der Haupttribüne neben einem Toilettenhäuschen.
Kamelkämpfe für die Ehre
Am Morgen darauf weckt uns ausnahmsweise nicht der Muezzin, sondern ein Soundcheck. Ab jetzt gibt es keine Verschnaufpause mehr. Zunächst erreichen den Veranstaltungsort fast 200 prachtvoll geschmückte Kamele auf Lastwagen. Für Mathilda, Toni und Arttu ist das natürlich ein Spektakel sondergleichen.
Im Wind flattert das Porträt Atatürks. Schräg gegenüber schaut ein mir unbekannter Mann von seinem Bildnis an den Auslegern zweier Autokräne hinab. Ein in Deutschland lebender und extra für das Fest angereister Deutschtürke erklärt mir, dass dies der Bürgermeister sei. Denn in diesem Jahr würde der Wettkampf von der Gemeinde bezahlt. Daher kostet es keinen Eintritt. Außerdem solle ich mich mit Kind doch etwas vorsehen, denn manchmal würden in Panik fliehende Kamele unstoppbar durch den Maschendrahtzaun und die Schaulustigen preschen. Deshalb ist Zuschauen von einem der Pritschenhänger am sichersten.
Wie denn der Sieger ermittelt werden kann, wenn jedes Kamel nur einmal in einem Zweikampf antritt und was die Gewinnkriterien sind, möchte ich wissen: Das Verliererkamel müsse von seinem Kontrahenten zu Boden gedrückt werden oder fliehen. Das genügt für die Siegerermittlung. Einen Gesamtchampion gebe es aber nicht. Außerdem finde der Wettstreit mit den Tieren nicht statt, um teure Prämien abzustauben, sondern um die Ehre des Sieges nach Hause zu tragen. In der Regel läuft Kamelringen unblutig ab. Die Tiere im Wert eines Mittelklassewagens wären viel zu wertvoll, um sie zu beschädigen. Eine Gruppe Seile tragender Männer steht deshalb neben den Rivalen bereit, um sie trennen zu können. Den Willen für heftigere Auseinandersetzungen haben die ringenden männlichen Kamele, weil jetzt im Januar Brunftzeit ist und das Kamelweibchen am Rand der Arena steht.
Trotz der humanen Ansätze, die das Ganze aus meiner Sicht hat, werde ich mir mit Susi nicht einig, wie wir es aus Tierwohlsicht einordnen sollen. Fest steht für mich, dass es kulturell sehr wertvoll und besuchenswert ist. Schön wäre es dennoch, mehr über Haltungs- und Trainingsbedingungen der Tiere zu erfahren.
Für Menschen ist es auf jeden Fall eine Spitzenveranstaltung. Keine Ahnung wie oft ich an diesem Tag die Arena zum Staunen, Essen, Plauschen und Fotografieren umrunde. Trotz des Trubels ist es eine angenehm ausgelassene Stimmung ohne Aggression; von einigen Wortgefechten zwischen den stolzen Kamelbesitzern einmal abgesehen.
Mehrmals werden wir auf ein Glas Rakı, etwas Gegrilltes oder eine Kleinigkeit für die Kinder beim Gespräch eingeladen. Als Dominic und ich die Arena dann zum Fotografieren betreten, bindet der Security-Posten jedem von uns eine orangene Kufıa (Kopftuch) um. Spätestens jetzt fühlen wir uns pudelwohl und sind stolz so freundlich aufgenommen zu werden.
Wir durften auch anderorts viel Gastlichkeit erfahren und wurden selbst in einer Shopping-Mall schon zum Mittag nach Hause eingeladen (leider hatten wir in Kuşadası keine Zeit dafür). Für mich ist das aber Anlass, einem unserer fußballbegeisterten Gesprächspartner, eine persönliche Stadtführung durch Dresden anzubieten. Er verriet, dass er in zwei Monaten zu einem Spiel von Dynamo Dresden fahren würde. Da es beim Austausch der Kontaktdaten geblieben ist, frage ich mich im Nachhinein allerdings, ob manch Einladung hier nur als Höflichkeitsgeplänkel verstanden werden muss oder doch etwas Verbindlicheres sein kann. Vielleicht hätte ich einige Zeit später die Einladung nochmals telefonisch bekräftigen müssen. Keine Ahnung.
Trotz des Menschengedränges gefällt auch Arttu der Tag. Mit Mathilda Hand in Hand, haben beide keine Skrupel sich ohne Erwachsenenunterstützung durch die Schaulustigen bis ganz vor zum Maschendrahtzaun zu quetschen, um die Kamele in der Arena zu sehen. Als es ihm am späten Nachmittag dann doch zu viel wird, da die Einheimischen gegenüber Kindern recht touchy sind, verbringt er den Rest des Tages matschend im für ihn knietiefen Schlamm neben dem Lkw oder beobachtet das Treiben aus unserer Dachluke heraus.
Weniger begeistert sind wir dagegen davon, dass wir auf dem Festgelände weit und breit keine Abfalltonne oder Ähnliches finden können. Auf Nachfrage deutet ein Standinhaber auf die Erde. Schade… Unseren eigenen Dreck nehmen wir zwar mit in den Lkw, aber der Unrat der restlichen Festbesucher fällt schlicht zu Boden. Am Folgetag werden ihn die Radlader in einen Graben schieben und verscharren.
Für kurzen Ärger sorgt bei uns noch der Diebstahl der Einstiegsleiter am Lkw. Irgendwann abends in der Dunkelheit hat sie jemand geklaut. Aber warum soll ein negatives Erlebnis so viele positive Erfahrungen überschatten? Zumindest ist es uns noch zeitig genug aufgefallen, um nicht beim Verlassen des IFA ins Leere zu treten.
Von wegen Heimweh
Ab jetzt trennen Susi, Arttu und mich nur noch 145 Kilometer davon, den Rückweg antreten zu müssen. Minimum sechs Monate wollten wir mit Onkel Mark verreisen. Gerade einmal die Hälfte davon hatten wir zu Verfügung. Seine Reparaturen vor der Tour fraßen die restliche Zeit auf. Doch genau dieser Umstand hat diese Reise erst zu dem gemacht, was sie wurde. Genau zum richtigen Zeitpunkt waren wir an den heißen Quellen von Eleftheres, wo wir die sympathische Besatzung der alten Magirus-Mercur-Feuerwehr trafen. Ebenso passend kamen wir in İncirliova vorbei, um die Kamelwettkämpfe zu sehen und haben nun noch das Glück bei den Kalksinterterrassen von Pamukkale mehrere andere Globetrotter in ihren Fahrzeugen kennenzulernen.
Im türkisen MAN sind Mariam & Loïc mit ihren drei Kindern (Link zur whynotfamily) von Frankreich Richtung Indien unterwegs.
Dominic und Christina mit ihren drei Sprösslingen im roten Magirus kennen wir bereits seit Griechenland. Sie verwirklichen sich gerade ihren Traum von einer Reise zum Pamirgebirge in Tadjikistan.
Marie und Patrick (Link zu SKULTCHA) sind im weißen Toyota Hillux gerade auf dem Weg von Europa zurück in ihre Heimat Südafrika.
Optisch fügen wir uns mit dem IFA in die Szenerie zwar gut ein, aber bei ihren Reisezeiten von immerhin zwölf Monaten und mehr kommen wir uns mit den popligen paar Monaten wie Sonntagsausflügler vor.
Trotzdem verstehen wir uns mit allen gut. Die Overlander dieser Erde scheinen nicht nur in ihrem Fernweh eine Gemeinsamkeit zu haben, sondern sind auch politisch und gesellschaftlich recht ähnlich. Charakterlich könnte man sagen: ein bisschen sonderbar, definitiv nicht ohne Macken, aber immer liebenswert, weltoffen und sympathisch.
Daneben sind für mich die weltberühmten, weißen Sinterterrassen Pamukkales keiner Erwähnung wert. Jetzt im Winter sind die meisten von ihnen eh wasserlos und schmutzig. Baden ist in ihnen schon seit Längerem verboten und vollkommen entzaubert werden sie für mich, als wir sehen, dass sie zum Teil aus Beton gebaut werden.
Wäre da nicht der Wehmut, dass ab jetzt der Rückweg beginnt und der Abschied von unseren neuen Freunden, würden wir uns freuen, das touristische Pamukkale im Rückspiegel zu sehen.
Wenn’s am schönsten ist…
… soll man aufhören und wir müssen sogar aufhören, sonst verpasse ich meinen ersten Arbeitstag am 25.02.2019 in Deutschland. Außerdem wollen wir uns noch eine Woche Puffer in der Hinterhand halten, um etwaige Reparaturen am alten IFA abfangen zu können.
Pro Tag spult der betagte Laster nun 200 bis 400 Kilometer Asphalt ab. Das sind drei bis sieben Stunden reine Fahrtzeit, plus Grenzübertritte. Jeden zweiten Tag bleiben wir stehen, damit das Urlaubsfeeling nicht dem Tagesablauf eines Berufskraftfahrers gleicht.
An den Fahrtagen vertreibt sich Arttu mit Malen, vielen Hörbüchern und der Serie „Es war einmal das Leben“ die Zeit. Diese Zeichentrickreihe über die Funktion des menschlichen Körpers, die bereits aus unseren Kindertagen stammt, gefällt ihm so gut, dass er die Folgen so oft suchtet, bis er sie mitsprechen kann.
Obwohl er daher auch die Fahrerei sichtlich zu genießen scheint, ist es nicht zu leugnen, dass wir alle deutlich ausgeglichener sind, wenn das Auto kürzere Tagesetappen bewältigt.
Für etwas Abwechslung verbringen wir einen Tag zwischen den Festungswerken an den Dardanellen in Kilitbahir. Ob unserem Sohn hier die alten Burgmauern, die Delfine in der Meerenge oder die Schwärme von Tausenden Staren am besten gefallen haben, kann ich nicht sagen. Auf jeden Fall ist dieser Stopp nicht nur für ihn interessant.
Seiner Neugier zu der schönen Kulisse gerecht zu werden, ist allerdings schwierig. So richtig zufrieden bin ich mit meinen vielen Erklärungen zu Festungen, Krieg, Tod und Soldaten selbst nicht. Es ist gar nicht einfach, etwas so Unfassbares in kindgerechten, mahnenden, aber nicht abscheulichen Worten zu erklären, wenn das Gegenüber zum ersten Mal in seinem Leben davon hört Zudem kennen wir Krieg ja selbst nur aus den Erzählungen der Großeltern.
Es ist aber insofern erfolgreich, dass die Faszination von Arttu fürs Schießen danach spürbar nachlässt.
Tags darauf sind wir wieder in der Europäischen Union. In der Dämmerung rollen wir durch die Desinfektionsgrube des türkisch/bulgarischen Grenzübergangs. Nicht einmal der seit Tagen undichte Kupplungsgeberzylinder konnte den IFA aufhalten. Da Onkel Mark ein einfaches und ganz schön robustes Auto ist, können wir die heraustropfende DOT3-Flüssigkeit ersetzen, indem wir in den Ausgleichsbehälter der Kupplung neue nachschütten. Nur beim Gangwechsel ist nun gelegentlich etwas Fingerspitzengefühl gefragt, um schadfrei schalten zu können (der Ausrückweg des Kupplungsnehmerzylinders ist nicht immer groß genug). Dennoch wird das Provisorium bis in die heimische Werkstatt in Deutschland durchhalten.
Auf der Autobahn in Bulgarien hat diesmal Susi das Steuer übernommen. Schade, dass sie sich das nicht öfter zutraut. Aber vielleicht muss ich da auch erst einmal dafür sorgen, dass die Lenkung leichtgängiger wird. Die serienmäßige Lenkunterstützung unterstützt – warum auch immer – das Lenken nicht.
Nervthema: Geld
Deshalb müssen wir heim. Besagter Mammon ist nach einem Jahr unbezahlter Elternzeit nämlich fast verbraucht. Der Lkw hat inklusive Kaufpreis 16.000 € bis zur Fahrtüchtigkeit verschlungen. Dazu kamen noch Reiseausrüstung und das Budget für die Tour selbst.
Für diese hatten wir 1000 € pro Reisemonat inklusive aller laufenden (auch jährlichen) Kosten wie Versicherungen usw. kalkuliert. Mit durchschnittlich 1250 € je Monat liegen wir zwar drüber, aber können uns das mit Ersatzteilkosten, dem Nicht-Erreichen günstigerer Reiseländer und hoher Fahrleistung aufgrund der recht kurzen Reisezeit gut erklären.
Insgesamt sind es knapp 6700 Reisekilometer mit durchschnittlich 70 Kilometern pro Stunde geworden:
Der IFA hat dabei mit durchschnittlich 20,5 Litern Diesel auf 100 Kilometern vergleichsweise vertretbar viel Durst gehabt. Im Vergleich dazu benötigen viele ältere Campervans auch 15 Liter auf 100 Kilometern und das bei wesentlich geringerer Tonnage.
Da mir eine sehr emotionale Diskussion zur moralischen Vertretbarkeit von Reisen in die Türkei aus dem Allradforum noch in lebhafter Erinnerung ist, möchte ich zum Abschluss eine rhetorische Frage in den Raum stellen: Wie viel können die einzelne Bäckerin, der Marktverkäufer oder die meisten anderen Einzelpersonen Einfluss auf den politischen Pfad ihres jeweiligen Landes nehmen?
Ja genau… Deshalb möchten wir diesen Menschen nicht mit derart viel Ablehnung begegnen, dass wir eine Reise in ihr Land schon von Vornherein ausschließen. Zumal wir Deutschen in Alltagshilfsbereitschaft und Lebensfreude zu den Türken eh noch etwas Nachholbedarf haben. Auch wenn der aktuelle politische Weg der Türkei streitbar ist, war der Umgang mit den Menschen stets von Wertschätzung geprägt. Und mal im Klartext: Die Steuern auf unser türkisches Frühstücksbrot, stützen den türkischen Staat auf keinen Fall in dem Maß, wie es die Konfliktrohstoffe in den Smartphones der Forumsmoralisten mit den Kriegen dieser Erde schaffen. Nutzer von Fairphones ausdrücklich ausgenommen 😉
(Dennoch sind wir in den Kommentaren oder auch persönlich gern zur Diskussion bereit.)
Unter anderem mit diesen Gedanken befahren wir eine Straße, an deren Rand ein Ortsausgangsschild mit der durchgestrichenen Aufschrift Freiheit zu stehen scheint.
Während unserer Heimreise bei strammen Minusgraden erscheint es fast unglaublich, dass 2020 mit Langzeitreisen genauso viel zutun haben wird wie PEGIDA mit Weltoffenheit.
Da ich für diesen letzten Reisebericht unserer Tour aber peinlicherweise 22 Monate gebraucht habe, liegt das erste Coronajahr fast hinter uns, genauso wie Arttus häusliche Quarantäne aufgrund eines Covid-19-Falles in seinem Kindergarten.
Was genau 2021 und Corona für uns und unsere Reisepläne bringen werden, ist noch nicht absehbar. Vermutlich wird es dann kaum Kontakt zu anderen Menschen geben, aber dafür lange unabhängige Aufenthalte in einsamer Natur.
Losfahren wollen wir auf jeden Fall sobald es geht. Dieses Mal mit einem neugierigen Augenpaar mehr und ohne die Last einer überflüssigen Wohnung.
Wir wünschen euch bis dahin beste Gesundheit und viele Grüße aus Dresden
Susi, Arttu, Arved und Hagen
Der Kurzfilm zum Leben im Lkw und der Reise: